Infolge des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 10. Januar 2023 (6 StR 133/12) zur Frage der Untreue bei Verstößen gegen das Begünstigungsverbot bei betriebsverfassungsrechtlichen Amtsträgern in Entgeltfragen kam es in der
Praxis zu Rechtsunsicherheiten. Arbeitsminister Heil hat daher eine dreiköpfige Kommission (Rainer Schlegel, Ingrid Schmidt, Gregor Thüsing) damit beauftragt, Vorschläge vorzulegen, der Rechtssicherheit bei der Bestimmung der Vergütung von Mitgliedern des Betriebsrats schafft. Meine Einschätzung zu dem Bericht der Kommission findet ihr hier:

§ 37 Absatz 4 Satz 1 BetrVG: „Das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats darf einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung.“

  • regelt Anspruch auf das Mindestentgelt, das ein BR-Mitglied beanspruchen kann

§ 78 Satz 2 BetrVG: „Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.“

  • § 78 Satz 2 BetrVG normiert ein allgemeines, umfassendes Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot, sowohl in beruflicher als auch in finanzieller Hinsicht
  • Der Arbeitgeber ist verpflichtet den Mitgliedern der in § 78 Satz 1 BetrVG genannten Arbeitnehmervertretungen eine berufliche Entwicklung zu gewährleisten, die derjenigen entspricht, die sie ohne ihre Amtstätigkeit durchlaufen hätten.
  • Ein Anspruch aus § 78 Satz 2 BetrVG setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsratsmitglied der Nachweis gelingt, dass es ohne seine Tätigkeit als Betriebsrat inzwischen mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde.

Gescheiterter Vorschlag 2017, um freigestellten Betriebsratsmitgliedern eine bessere Bezahlung sichern: Ergänzung §37 BetrVG „Bei der Bemessung des Arbeitsentgelts und der allgemeinen Zuwendungen sind außerdem die zur Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen, wie auch regelmäßig wahrgenommenen Aufgaben zu berücksichtigen, sowie sie die Tätigkeit des Betriebsratsmitglieds prägen“.

BAG, Urt. vom 23.11.2022 – 7 AZR 122/22: „Vergleichbar iSv. § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG sind Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren (…).“

Vorschläge Novellierung:

§ 37 Absatz 4 BetrVG wird wie folgt um Sätze 3 bis 5 ergänzt:

„Die Vergleichbarkeit bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts, soweit nicht ein sachlicher Grund eine spätere Neubestimmung verlangt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.“

§ 78 wird wie folgt um einen Satz 3 ergänzt:

„Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Entgelt nicht vor, wenn das Mitglied der in Satz 1 genannten Vertretungen in seiner Person die für deren Gewährung erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“

  • Eine Benachteiligung i.S.v. § 78 Satz 2 BetrVG ist jede Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Träger eines betriebsverfassungsrechtlichen Amtes beruht. Gleiches gilt für eine Begünstigung.
  • Dabei kann es sachlich gerechtfertigt sein, bei einer solchen Stellenbesetzung auch die durch und während der Amtstätigkeitstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen zu berücksichtigen, soweit sie im Unternehmen auch außerhalb des Betriebsratsamts für die jeweilige Stelle karriere- und vergütungsrelevant sind.
  • Nicht berücksichtigungsfähig ist, dass etwa ein Mitglied des Betriebsrats ggf. mit Vorständen und Managern „auf Augenhöhe verhandelt“ oder „komplexe Aufgaben“ wahrnimmt oder in „unternehmerische Entscheidungskomplexe eingebunden“ ist. Diese Maßstäbe knüpfen in unzulässigerweise an die BR-Tätigkeit als solche an und finden keine Stütze im BetrVG.
  • Auch der bloße Zuwachs an Kompetenzen, Kenntnissen und Fähigkeiten während der Ausübung des Amtes als Betriebsrat begründet ohne Bezug zu einer konkreten Stelle im Betrieb und deren Anforderungsprofil keinen Anspruch nach § 78 Satz 2 BetrVG auf eine höhere Vergütung; hierin liegt keine Benachteiligung gegenüber Nichtbetriebsratsmitgliedern, deren bloßer persönlicher Kompetenzzuwachs ebenfalls nicht ohne Weiteres, insbesondere ohne Beförderung zu einem entsprechend höheren Vergütungsanspruch führt.

Unsere Forderung im Mitbestimmungskonzept „Betriebsratsmitglieder gerecht vergüten“:

§ 37 Abs. 4 BetrVG (…) erweist sich in der Praxis oft als unbrauchbar. Sie wirkt vor allem als Begrenzung nach oben. Während viele Betriebsratsmitglieder im Laufe ihrer Betriebsratstätigkeit immer größere Verantwortung für ihre Kolleg*innen übernehmen und sich weiterbilden, bleibt ihre Gehaltsentwicklung meist auf der Strecke. Denn die für die Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Weiterbildungsmaßnahmen werden bei der Vergütung nicht berücksichtigt, sondern nur Weiterbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der ursprünglichen beruflichen Tätigkeit. Auch fehlt es oft an vergleichbaren Arbeitnehmer*innen, was eine Anpassung unmöglich macht. Und auch die rechtliche Durchsetzung dieses Anspruchs erweist sich als extrem schwierig. Das Betriebsratsmitglied muss etwa nachweisen, dass Vergleichspersonen mehrheitlich befördert worden sind, was jedoch regelmäßig vor Gericht scheitert.

Vorschlag Änderung §37 Abs. 4 (Paraphrase): Beim Bemessen des Arbeitsentgelts und für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers sind die zur Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen wie auch die Länge auf Dauer wahrgenommenen Aufgaben zu berücksichtigen. Gehaltsstrukturen sind im Sinne der Transparenz offen zu legen. Dies gilt auch für die Geschäftsführung des Betriebs oder des Unternehmens.

Fazit mit Blick auf unsere Kritikpunkte:

  • Erworbene Qualifikationen und Weiterbildungsmaßnahmen werden dann berücksichtigt, „soweit sie im Unternehmen auch außerhalb des Betriebsratsamts für die jeweilige Stelle karriere- und vergütungsrelevant sind“ (= Klärung, aber schwächer als unsere Forderung)
  • Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabrede (letzteres muss nicht betriebsöffentlich gemacht werden) sollen Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln (Kann-Bestimmung, kann hilfreich sein) > Rechtliche Durchsetzung mit festgelegtem Verfahren einfacher
  • Insgesamt: Klarstellungen und einfachere Durchsetzung, aber nur in Ausnahmefällen Berücksichtigung der im BR erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten
  • Bestehenden Betriebsräte, die bisher keine höhere Vergütung durchsetzen konnten (etwa wegen fehlender Vergleichspersonen), ist kaum geholfen.