Kommentar von Susanne Ferschl
Zuerst erschienen bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft.

Ende Juni wurde publik, dass der gesetzliche Mindestlohn auf Vorschlag der Mindestlohnkommission um 41 Cent angehoben werden soll. Der Vorschlag wurde dieses Mal allerdings nicht einvernehmlich getroffen. Die Arbeitnehmervertreter in der Kommission sind gegen diese in ihren Augen zu geringe Anhebung. Die Gewerkschaften stimmten deshalb gegen den Vorschlag.

Es ist jetzt die verdammte Pflicht dieser Bundesregierung dafür zu sorgen, dass der Mindestlohn nicht erneut zum Armutslohn verkommt. Es ist sogar die Pflicht des Bundeskanzlers höchstpersönlich dafür zu sorgen, denn er hat den Beschäftigten bereits im Wahlkampf mehr Respekt versprochen. Und leere Versprechungen, die braucht kein Mensch.

Der Mindestlohn hatte bereits bei seiner Einführung im Jahr 2015 einen großen Webfehler: Er war einfach zu niedrig. Nachdem DIE LINKE seine Erhöhung immer und immer wieder gefordert hat, wurde er endlich im Oktober letzten Jahres auf 12 Euro angehoben – das war überfällig! Aber durch die Inflation, die insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen hart trifft, wurde diese Erhöhung wieder aufgefressen. Deshalb ist eine weitere deutliche Erhöhung des Mindestlohns notwendig.

Diese Erhöhung hatten alle – einschließlich des Arbeitsministers Hubertus Heil – von der Mindestlohnkommission erwartet. Aber was ist passiert? Besagte Mindestlohnkommission hat nun beschlossen, den Mindestlohn ab 1. Januar 2024 um lächerliche (!) 41 Cent zu erhöhen. 41 Cent – das bedeutet Einkommensverluste, mindestens 7% weniger Kaufkraft für Geringverdienende und ihre Familien. Das ist inakzeptabel! Das pikante am Beschluss der Mindestlohnkommission ist: Die Arbeitgeberseite hat diese kümmerliche Erhöhung zusammen mit der Vorsitzenden gegen die Stimmen der Gewerkschaften durchgedrückt. Was für eine Unverschämtheit!

Die ganze Zeit singen die Arbeitgeber das hohe Lied der Tarifautonomie, nur um dann im entscheidenden Moment die Gewerkschaften nieder zu stimmen. Wie verlogen ist das? Das war ganz offensichtlich die Retourkutsche der Arbeitgeber für die gesetzliche Erhöhung des Mindestlohns, die sie letztes Jahr nicht wollten. Und so haben sie diese Erhöhung auf 12 Euro rechnerisch auch einfach stur ignoriert und die letzte Erhöhung der Kommission auf 10,45 Euro als Basis zugrunde gelegt.

Und ich frage mich schon: Merkt der Bundeskanzler eigentlich, dass er mit seinem Respekt-Versprechen hier von den Arbeitgebern am Nasenring durch die Manege gezogen wird? Es scheint ihn allerdings nicht groß zu stören, denn er will das Votum der Mindestlohnkommission so akzeptieren. Und auch der Arbeitsminister hat mit leisem Bedauern, aber ansonsten sang- und klanglos die Mehrheitsentscheidung der Mindestlohnkommission durchgewunken. Das ist unfassbar!

Ich sage dazu eines: Diese Provokation der Arbeitgeber, die den Mindestlohn wieder zu einem Armutslohn macht, die macht erneut gesetzgeberisches Handeln notwendig! Arbeitgeberchef Kampeter sagt, die Mindestlohnkommission sei „kein Reparaturbetrieb für sozialpolitische Probleme“, obwohl im Mindestlohngesetz ausdrücklich ein „Mindestschutz“ für Beschäftigte festgeschrieben ist. Das ist doch ein schlechter Witz! Wenn er dann auch noch sagt, es sei der Job der Kommission, allein aus den Lohnerhöhungen der Vergangenheit die Erhöhungen des Mindestlohnes für die Zukunft zu berechnen, dann macht er die eigene Kommission überflüssig und wir können gleich ein Statistikbüro für die Berechnung beauftragen. Das ist doch lächerlich!

Wir brauchen klare Leitplanken für die Mindestlohnerhöhung: Die EU empfiehl den Mitgliedsstaaten in einer Richtlinie, dass die nationalen Mindestlöhne wenigstens 60% des mittleren Einkommens betragen sollen. Das ist eine klare Leitplanke und DIE LINKE will, dass genau dieses Kriterium als Untergrenze in das Mindestlohngesetz aufgenommen wird. Damit läge der Mindestlohn ab Januar 2024 bei wenigstens 14 Euro und das wäre angemessen. Im Juni haben wir einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht (Anm. Redaktion: Hier kann die Debatte dazu nachverfolgt werden).

Angeblich will nun auch der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil darauf dringen, dass Deutschland diese Richtlinie umsetzt. Ich frage mich nur, warum dann noch letzte Woche die komplette Ampel, also auch die SPD, unseren Antrag dazu im Ausschuss für Arbeit und Soziales abgelehnt hat. Ganz ehrlich: klassenkämpferisches Getöse reicht nicht – wir brauchen einen Mindestlohn, der vor Armut schützt. Die Bundesregierung muss ihrer sozialpolitischen Verantwortung gerecht werden, ansonsten wird sie die gesellschaftspolitische Spaltung nur immer weiter vorantreiben.

Susanne Ferschl ist stv. Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und deren Sprecherin für Gute Arbeit.