Interview von Susanne Ferschl mit Jan Richter (Bundessprecher BAG Betrieb und Gewerkschaft) zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Ursprünglich erschienen auf betriebundgewerkschaft.de.

Letzte Woche hat der Bundestag die Fachkräfte-Einwanderung reformiert. Susanne Ferschl ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE und deren Sprecherin für Gute Arbeit. Im Gespräch mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft geht sie mit der Bundesregierung hart ins Gericht. Zwar sei es grundlegend richtig, die Einwanderung ausländischer Fachkräfte zu erleichtern, die Ampel habe aber nicht genug unternommen, um Einwanderung in prekäre Beschäftigung zu unterbinden. Unterbietungswettkämpfe am Arbeitsmarkt werden so nicht verhindert, sondern weiter befördert, sagt sie im Gespräch mit  Jan Richter. 

BAG Betrieb & Gewerkschaft: Liebe Susi, letzte Woche wurde im Bundestag das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen. DIE LINKE hat sich bei der Abstimmung enthalten. Wieso?

Susanne Ferschl: Wir finden es grundlegend richtig, dass die Einwanderung ausländischer Fachkräfte erleichtert wird. Denn neben der Hebung inländischer Potenziale – beispielsweise durch eine bessere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, eine Steigerung der Ausbildungsquote oder gezielte Maßnahmen zur Förderung und Eingliederung von Arbeitslosen – gehört auch die Einwanderung von Fachkräften zu einer ausgewogenen Fachkräftestrategie. Allerdings hat die Bundesregierung nicht genug unternommen, um Einwanderung in prekäre Beschäftigung zu unterbinden. Unterbietungswettkämpfe am Arbeitsmarkt werden dadurch nicht verhindert, sondern weiter befördert. Deshalb haben wir uns enthalten.

Die Bundesregierung spricht davon, das modernste Einwanderungsrecht der Welt geschaffen zu haben. Das teilst du also nicht, oder?

Die Ampel geizt mal wieder nicht mit Superlativen. Aber ich habe aus mehrfacher Sicht deutlich Zweifel, ob die verabschiedeten Maßnahmen diesem Anspruch gerecht werden. Natürlich schafft das Gesetz einige wichtige Erleichterungen für ausländische Fachkräfte. Die Idee, dass nicht nur anerkannte Qualifikationen, sondern auch Berufserfahrung ein Kriterium für die Einwanderung sein soll, ist von Grund auf nicht schlecht. Auch die Schaffung einer Anerkennungspartnerschaft, bei der ausländische Beschäftigte bereits parallel zur laufenden Anerkennung arbeiten können und sich die Arbeitgeber um nötige Nachqualifizierungen kümmern, ist von der Idee her nicht schlecht.

Aber?

Der ohnehin schon unübersichtliche Wirrwarr von Zugangswegen wurde weiter verkompliziert. Die Chancenkarte samt Punktesystem sieht zwar toll aus. Es wurde hier aber de facto ein weiterer Zugangsweg geschaffen. Dieser aber stellt so hohe Kriterien an die Bewerber, dass kaum ein anderer Kreis an Personen erreicht wird, der nicht schon über die bestehenden Wege kommen könnte. Ein modernes Einwanderungsrecht hingegen ist einfach und unkompliziert. Und es baut auf gute Arbeit und angemessene Löhne. Diesem Anspruch wird das Gesetz definitiv nicht gerecht.

Was meinst du konkret damit, dass nicht genug unternommen wurde, um prekäre Beschäftigung und Unterbietungswettkämpfe zu unterbinden? Für Beschäftigte, die beispielsweise über die Blaue Karte EU einwandern, gibt es doch Gehaltsschwellen. Damit wird Lohndumping doch entgegengetreten, oder etwa nicht?

Es geht hier gar nicht so sehr um den Bereich der qualifizierten und hoch qualifizierten Zuwanderung, um den es in der Blue Card Richtlinie geht. Denn hier ist klar: wer mies bezahlt, hat im internationalen Wettbewerb um hochqualifizierte Fachkräfte auch keine Chance. Was aber häufig nicht wahrgenommen wird und was die Bundesregierung selbst auch nur im Nebensatz erwähnt, ist, dass parallel auch die Einwanderung im Bereich der Beschäftigung ohne Qualifikationsanforderungen massiv ausgeweitet wird. Denn Teil des Gesamtpakets ist nicht nur das Einwanderungsgesetz, sondern auch die Beschäftigungsverordnung, die ebenfalls überarbeitet wurde.

Was steht in dieser Beschäftigungsverordnung?

Darin ist die sogenannte Westbalkanregelung festgelegt, über die Menschen aus den Westbalkanstaaten ohne Qualifikationsnachweise eine Arbeit in Deutschland aufnehmen können. Diese Regelung wurde entfristet und das jährliche Kontingent von 25.000 auf 50.000 Zulassungen verdoppelt. Die Systematik der Regelung soll zukünftig auch auf Migrationsabkommen mit anderen Drittstaaten anwendbar sein. Außerdem wurde mit der kurzzeitigen kontingentierten Beschäftigung eine neue Form der Saisonbeschäftigung eingeführt, über die zukünftig 30.000 Beschäftigte pro Jahr nach Deutschland kommen sollen.

Das sind dann die Bereiche, wo es zu prekären Beschäftigungsverhältnissen kommt?

Ja genau. Die Westbalkanregelung gibt es ja schon einige Jahre. Wir wissen, dass beinahe die Hälfte der Beschäftigten auf dem Bau arbeitet, viele auch in der Gastronomie. Für die neue kurzzeitige kontingentierte Beschäftigung werden ebenfalls das Gastgewerbe und die Landwirtschaft – also die Ernte auf den Feldern – als Zielbranchen genannt. Das sind alles Bereiche, in denen aufgrund mieser Bedingungen und schlechter Löhne immer weniger Menschen arbeiten wollen. Für diesen hausgemachten Arbeitskräftemangel sollen nun ausländische Beschäftigte ihren Kopf und ihre Knochen hinhalten. Das ist schlecht für die Beschäftigten, die unter ausbeuterischen Bedingungen schuften und ihre Gesundheit ruinieren. Und es ist schlecht für eine nachhaltige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.

Inwiefern?

Nehmen wir die Baubranche. Die ist zentral für die Transformation, denn um die Klimaziele zu erreichen, werden wir viele Häuser dämmen und umrüsten müssen. Hier gibt es zugleich einen großen Mangel an Arbeitskräften, der zentral auch durch die schlechten Arbeitsbedingungen begründet ist. Im letzten Jahr haben die Arbeitgeber hier den Branchenmindestlohn aufgekündigt, weil sie maximal nur noch den gesetzlichen Mindestlohn zahlen wollen. Dafür werden die Arbeitgeber nun auch noch belohnt, indem man ihnen gezielt noch mehr Beschäftigte aus dem Ausland zuführt, die sie ausbeuten können.

Da schrillen bei einem doch alle Alarmglocken.

Es gibt keinerlei Anreiz für die Arbeitgeber, die Arbeitsbedingungen hierzulande zu verbessern und die einheimischen Beschäftigten gucken in die Röhre. Doch auf Dauer wird sich das rächen. Denn immer mehr der altgedienten Beschäftigten kehren der Branche den Rücken und irgendwann lässt sich das Loch auch nicht mehr durch Zuwanderung stopfen. Und dann stehen wir in der Transformation doof da.

Die Westbalkanreglung wird aber durchaus auch positiv gesehen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung spricht von einem Modell, das sich als Blaupause für Abkommen mit weiteren Ländern eignet. Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten seien gar nicht so schlecht. Was sagst du dazu?

Man versucht hier aus meiner Sicht zu vertuschen, dass die Westbalkanregelung schon in ihrer Entstehung höchst problematisch ist. Denn sie ist Teil des Maßnahmenpakets, in dessen Rahmen die Westbalkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt wurden. Es ist zynisch, wenn man es für einen Erfolg hält, dass man es geschafft hat, das Asylrecht für die in ihren Heimatländern nach wie vor diskriminierten Roma eingeschränkt zu haben und nun so gut wie keine Anträge mehr hat. Diesen problematischen Aspekt versucht man mit Schönrechnereien bei den Löhnen zu verdecken – nach dem Motto „wir haben zum Ausgleich doch was total Tolles für die betroffenen Menschen geschaffen“.

Was meinst du mit Schönrechnerei?

Man bezieht sich hier auf die Evaluation der Regelung aus dem Jahr 2020. Hier wurde zwar ein großer Pay-Gap zwischen Westbalkanbeschäftigten und allen anderen Beschäftigten festgestellt. Den hat man dann aber einfach rausgerechnet, indem man die Entgelte mit denen inländischer Berufseinsteiger verglichen hat und gesagt hat: da ist der Lohn ja ungefähr gleich hoch. Das hat aber nichts mit der Realität zu tun. Denn die Beschäftigten aus den Westbalkanländern sind eben keine Berufseinsteiger, sondern Beschäftigte mittleren Alters, größtenteils mit einem anerkannten Abschluss. Sie sind also häufig sehr erfahren und dafür sind die Löhne dann doch schlecht.

Heißt?

Unterm Strich bleibt stehen, dass ihr mittleres Einkommen auch Jahre nach Einführung der Regelung knapp 1.000 Euro unter dem aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten liegt und dass mehr als ein Drittel einen Niedriglohn bezieht.

Was muss denn passieren, damit DIE LINKE Maßnahmen wie die Ausweitung der Westbalkanregelung oder die kurzzeitige kontingentierte Beschäftigung begrüßt?

Es müssen klare Leitplanken eingezogen werden, um das Ausbeutungsrisiko der Beschäftigten drastisch zu reduzieren und um damit zu verhindern, dass ein Unterbietungswettkampf stattfindet, der letztlich auch zu Lasten der einheimischen Beschäftigten geht. Sprich: am Ende allen Beschäftigten schadet. Die kurzzeitige kontingentierte Beschäftigung ist sogar von Grund auf problematisch. Auch wenn sie nur für tarifgebundene Arbeitgeber zugänglich ist, bleibt ein hohes Ausbeutungsrisiko.

Denn diese Beschäftigten sind nur für kurze Zeit in Deutschland.

Richtig. Und dass die sich gegen Rechtsverstöße und unterdrückerische Verhältnisse zur Wehr setzen, ist dadurch unwahrscheinlich. Beschäftigungsmodelle ohne dauerhafte Bleibeperspektive lehnen wir daher ab. Aber auch bei der Westbalkanreglung muss der Aufenthalt der Beschäftigten gestärkt werden, denn bisher ist ihr Status abhängig vom Bestehen des Arbeitsvertrags mit ihrem Arbeitgeber. Auch hier wird sich niemand wehren, wenn er oder sie gleichzeitig fürchten muss, dass der Aufenthalt dadurch in Gefahr gerät.

Wäre eine Tarifbindung auch für die Westbalkanregelung eine Lösung?

Ja, aus meiner Sicht wäre es wichtig, auch bei der Westbalkanregelung eine Tarifbindung einzuführen, damit nur tarifgebundene Arbeitgeber von ihr Gebrauch machen können. Parallel müssen generell endlich Maßnahmen ergriffen werden, um die Tarifbindung branchenübergreifend deutlich zu steigern. Denn nur Tarifverträge schaffen verlässlich Mindeststandards und wirken so gegen Lohndumping und Konkurrenzen am Arbeitsmarkt. Damit das alles etwas bringt, müssen aber auch die Kontrollen der Arbeitsbedingungen durch die zuständigen Behörden entschieden ausgeweitet werden.

Solche Kontrollen werden aber gerade im Zusammenhang mit ausländischen Beschäftigten durchaus kritisch gesehen, weil dabei häufig die Beschäftigten selbst in den Fokus der Behörden geraten. Warum hältst du sie dennoch für so wichtig?

Für mich ist ganz klar: Alle Regelungen bringen nichts, wenn nicht mit Kontrollen und saftigen Bußgeldern sichergestellt wird, dass sie auch eingehalten werden. Wir brauchen in den kritischen Branchen wie auf dem Bau, in der Gastronomie und auf den Feldern eine deutliche Steigerung dieser Kontrollen. Aber du hast recht: es darf keine Verquickung von Kontrollen der Arbeitgeber mit Kontrollen des Aufenthaltsstatus der Beschäftigten geben. Das ist nicht nur ethisch bedenklich, sondern auch kontraproduktiv. Denn Beschäftigte, die Angst vor den Kontrolleuren haben, werden diese kaum auf Verstöße ihrer Arbeitgeber hinweisen.

Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch, liebe Susi.