Ich habe dem Antrag zur Einführung einer Impfpflicht heute NICHT zugestimmt.

Die Frage einer allgemeinen Impfpflicht ist ein Thema, das die Gemüter im Parlament ebenso bewegt wie in der Gesellschaft. Davon zeugen Hunderte von Bürgerbriefen, die ich und viele andere Parlamentarier*innen in diesen Tagen und Wochen  erhalten haben. Davon zeugen auch die fraktionsübergreifend zu dem Thema erarbeiteten Gruppenanträge, an denen Parlamentarier verschiedener Fraktionen gemeinsam gearbeitet hatten. Vorgesehen waren Anträge zu einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren sowie einer altersbezogenen Impfpflicht ab 50 Jahren.

Kurz vor der heutigen Abstimmung und sicher auch im Hinblick auf die schwindenden Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag, gab es jedoch einen fraktionsübergreifenden Kompromissvorschlag, der heute zur Abstimmung vorlag. Geregelt werden sollte eine Impfpflicht ab 60 Jahren zum 15.10.2022 sowie eine Impfberatungspflicht für Personen im Alter zwischen 18 und 60 Jahren, die ebenfalls bis zum 15.10.2022 zu erfüllen gewesen wäre. Ebenfalls ermöglicht werden sollte, dass auf Grundlage einer Auswertung des aktuellen Infektionsgeschehens mit Wirkung ebenfalls frühestens zum 15.10.2022 beschlossen hätte werden können, entweder die Impfpflicht auszusetzen oder auf Personen zwischen 18 und 59 Jahren auszudehnen.

Dieser „Kompromiss“ ignoriert die  Faktenlage, denn gerade in der Altersgruppe 60+ ist die Impfquote bereits überdurchschnittlich hoch und ich war von Anfang an gegen eine gruppenbezogene Impfpflicht. Auch habe ich heute diesem Antrag mit der Möglichkeit einer allgemeinen Impfpflicht durch die Hintertür die Zustimmung verweigert. Die Fraktionen haben heute nicht geschlossen abgestimmt, jede/r Abgeordnete war frei in seiner/ihrer Entscheidung (Hier das Abstimmungsergebnis und die heutige Bundestagsdebatte)

Ich betone hier ausdrücklich, dass ich eine Impfpflicht nicht grundsätzlich ablehne. Ein solcher Schritt kann jedoch nur eine Ultima Ratio sein, denn sie stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit dar. Zuvor müssen alle anderen Möglichkeiten, die Pandemie mit milderen Mitteln einzudämmen, ausgeschöpft werden. Hier gab es durch die alte, aber auch durch die neue Bundesregierung sehr viele Versäumnisse. Es besteht nach wie vor Luft nach oben, was zum Beispiel aufsuchende und niedrigschwellige Impfangebote und Aufklärungsangebote anbelangt.  Außerdem ist es ziemlich irrsinnig, alle milderen Mittel, wie insbesondere die Maskenpflicht, die eben keine freiheitseinschränkende Maßnahme darstellt, abzuschaffen und zeitgleich über die Einführung einer Impfpflicht abstimmen zu lassen. Das gleiche gilt im Übrigen auch für effektiven Arbeitsschutz und Homeoffice.

Ja, die Impfentscheidung ist eine persönliche Angelegenheit. Impfreaktionen betreffen jeden Menschen individuell. Auf der anderen Seite muss die Impfung aber auch im Kontext einer weltweiten Pandemie gesehen werden, die uns alle betrifft. Es ist deswegen richtig die Impfung und eine mögliche Impfpflicht als gesamtgesellschaftliches Problem zu besprechen und gemeinsam um die beste Lösung zu ringen. Nur ein verfehlter Liberalismus geht nämlich davon aus, dass jede*r jederzeit nur für sich selbst verantwortlich ist

Allerdings hat die Virusvariante Omikron die Ausgangslage erneut verändert. Angesichts der neuen Variante zeigt sich die Notwendigkeit eines angepassten Impfstoffs, dessen Entwicklung und ausreichende Produktion allerdings selbst bei den mRNA-Impfstoffen länger dauert, als die neue Variante braucht, um sich zu verbreiten. Das haben wir an den hohen Inzidenzen, auch in Ländern mit sehr hohen Impfquoten gesehen. Der sogenannte Herdenschutz ist somit nicht mehr ausreichend gegeben, der Fremdschutz eingeschränkt. Auch geimpfte und geboosterte Menschen erkranken in hoher Anzahl, wenn auch in der Regel milder. Vor diesem Hintergrund muss die Frage der Verhältnismäßigkeit,  Geeignetheit und Erforderlichkeit des Grundrechteingriffs einer möglichen Impfpflicht neu gestellt und bewertet werden.

Die Aufgabe des Parlamentes ist es, all diese Punkte insgesamt abzuwägen, zu prüfen und eine Entscheidung zu treffen. Ich bin für mich persönlich zu dem Schluss gekommen, dass unter all diesen Voraussetzungen eine Impfpflicht derzeit rechtlich nicht haltbar (das gilt auch für die Altersgrenzen) und politisch nicht vertretbar ist.

DIE LINKE. im Bundestag hat in der vergangenen Sitzungswoche einen eigenen Antrag eingebracht (Drucksachennummer 20/1086 vom 16.3.2022).

Wir sind der Meinung, dass die Bundesregierung eine Reihe von Fehlern in der Pandemiebekämpfung gemacht hat. Dabei meine ich die Maskendeal-Affäre der jetzt zu Recht auf der Oppositionsbank sitzenden CDU/CSU genauso wie die falschen Versprechungen im Hinblick auf eine Impfpflicht oder auf ein Ende der Pandemie. Aber auch die noch immer fehlenden Luftfilter in den Schulen, das Fehlen klarer und eindeutiger Kommunikation sowie nachvollziehbarer, transparenter Regeln, niedrigschwellige Impfangebote, Maßnahmen zur Vermeidung, besseren Erforschung und Behandlung von Long COVID, Mitbestimmung bei betrieblichem Infektionsschutz, weiter kostenfreie und gut erreichbare Bürgertests und eine Stärkung individueller Rechtsansprüche. Unser Antrag wurde abgelehnt.

Abschließend möchte ich zwei Dinge klarstellen:

Erstens: Ich befürworte ausdrücklich eine Impfung und kann sie nur jedem ans Herz legen. Der Nutzen überwiegt bei weitem das Risiko, wie die rückläufigen Zahlen an schweren Erkrankungen beweisen.

Zweitens:  Zur Ehrlichkeit gehört, dass in dieser Pandemie sich schon so häufig die Bedingungen und Voraussetzungen geändert haben, dass Vorhersagen schwierig sind. Mir ist daher wichtig, keine Aussagen oder Versprechungen zu machen, die ich nicht halten kann. Ich werde nicht ausschließen, zu einem späteren Zeitpunkt doch für eine Impfpflicht zu stimmen, wenn ich zu der Überzeugung gelange, dass sie das geeignete Mittel ist, um Leid zu verhindern, Freiheitsrechte wieder herzustellen und die Pandemie wirksam einzudämmen.  Deswegen habe ich auch dem Gruppenantrag gegen die Einführung einer Impfpflicht heute nicht zugestimmt, denn er schließt eine verpflichtende Impfung auch künftig aus (Hier die Abstimmungsergebnisse zum Antrag der Gruppe um den FDP-Abgeordneten Kubicki im Einzelnen).