Meine Rede beim Neujahrsempfang des DGB Kaufbeuren am 13.01.2024 im Podium Kaufbeuren könnt ihr hier nachlesen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Vielen Dank für die Einladung, ich freue mich sehr, dass ich heute bei euch sprechen kann.
Zu allererst wünsche ich euch natürlich ein gutes neues Jahr.
Hoffentlich wird es auch ein gutes neues Jahr – die Aussichten und die allgemeine Stimmung sind ja nicht gerade rosig zurzeit.
Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass es nur für 13% der Menschen in Deutschland einen Anlass zur Zuversicht gibt. Die übergroße Mehrheit von 83% sieht eher einen Anlass zur Beunruhigung.
Das ist kein Wunder.
Wir leben in einer Zeit der Vielfachkrisen: Klimakrise, Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, Energiekrise, Inflation und ja, ich würde sagen, auch eine Krise der Demokratie – dazu später mehr.
Eigentlich sind wir durch die Energiekrise durch und die Inflation hat sich abgeflacht, aber die Situation bleibt angespannt:
Seit Regierungsantritt der Ampel im Herbst 2021 haben sich die Lebensmittelpreise um fast 30% verteuert. Und durch die vorzeitige Erhöhung der CO2-Preise und Wiederanhebung der Mehrwertsteuer wird Gas, Öl und Sprit jetzt erneut teurer – vom versprochenen Klimageld ist nichts zu sehen.
Wir haben das in der Fraktion mal berechnet:
Ein durchschnittlicher 4-Personen-Haushalt in einem Mehrfamilienhaus muss für Heizen, Strom und Tanken mindestens 600 Euro mehr berappen. Viele Menschen haben echt zum Kratzen, dass sie über die Runden kommen – Urlaub oder andere Dinge, die man sich „mal gönnt“, sind häufig nicht mehr drin.
In Bayern ist jeder fünfte Rentner von Armut betroffen, deutschlandweit jedes 3. Kind – eine Schande für dieses reiche Land!
Die größte Gruppe von Armutsbetroffenen sind aber diejenigen mit den niedrigen Löhnen, das macht man sich häufig gar nicht bewusst.
Im letzten Jahr haben die Gewerkschaften in vielen Bereichen ordentliche Löhne durchsetzen können, dank der starken Arbeitskämpfe und viel Solidarität, u.a. von ver.di, EVG und auch meiner Gewerkschaft NGG.
So gab es eine leichte Reallohnsteigerung im vergangenen Jahr. ABER: Die Reallöhne sind auf dem Niveau von 2015 – das sind die Preise jedoch nicht!
Viele Menschen stehen also jeden Tag auf und rackern sich ab und können trotzdem von ihrer Hände Arbeit kaum leben und müssen häufig zum Amt und Aufstocken. Von denen redet aber kaum jemand, weil alle ein neues und altes Feindbild entdeckt haben: Der faule Arbeitslose, der nicht arbeiten will. Das ist eine Debatte, die mich auf ganz vielen Ebenen einfach nur aufregt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ja, es gibt Leute, die das System ausnutzen – die gibt es in der Gesellschaft, die gibt es in jedem Betrieb. Aber – und das wissen wir doch alle: Es ist die absolute Minderheit!
Gerade einmal 3% aller Bürgergeldbezieher werden überhaupt sanktioniert – heißt, weil sie sich nicht an Regeln halten und nur 0,6%, nämlich insgesamt 23.400 Menschen, werden wegen mangelnder Kooperation sanktioniert.
Ja worüber reden wir denn? 23.400 Menschen?!
Minister Heil rechnet mit 210.000 Menschen – wie er darauf kommt, sagt er nicht, aber selbst wenn es 210.000 Menschen wären, will ich mal was zur Dimension sagen:
9 Millionen Menschen arbeiten zu einem Lohn von unter 14 Euro pro Stunde!
Der Mindestlohn ist zum ersten Januar gerade mal um mickrige 41 Cent auf 12,41 Euro gestiegen.
Und warum? Weil die Arbeitgeber in der Mindestlohnkommission diese mickrige Erhöhung gegen die Stimmen der Gewerkschaften durchgesetzt haben.
Es sind genau die Arbeitgeber, die in ihren Sonntagsreden Hohelied auf die Tarifautonomie singen und dann bei erstbester Gelegenheit werden dann die Gewerkschaften niedergestimmt. „Pfui Teufel!“, kann ich da nur sagen.
Und was macht die Bundesregierung? Schaut einfach zu, anstatt dass sie nochmals gesetzgeberisch tätig wird und eine Untergrenze in das Mindestlohngesetz einzieht, die sich am mittleren Einkommen orientiert – das ist im Übrigen das, was die EU vorschlägt: Ein Untergrenze, die verhindert, dass der Mindestlohn wieder zum Armutslohn wird. Aber die die Bundesregierung bleibt tatenlos.
Und dann noch eine Zahl: 27 Millionen Beschäftigte in diesem Land fallen nicht mehr unter den Schutz eines Tarifvertrags. Die Tarifbindung befindet sich im freien Fall.
Bayern ist von allen Bundesländern übrigens Schlusslicht mit weniger als 50% Tarifbindung!
Und zwar deswegen, weil sich die Staatsregierung nach wie vor als einziges Bundesland weigert, ein Tariftreuegesetz zu verabschieden. Aber auch auf Bundesebene stellt sich die Frage: Wo ist denn das versprochene Bundestariftreuegesetz?!
Es ist doch Wahnsinn, Steuergelder an Firmen rauszuhauen, die ihr Geschäftsmodell auf Lohndumping aufbauen, weil sie sich nicht an Tarifverträge halten – damit muss endlich Schluss sein!
Ich fasse also zusammen: 9 Millionen Beschäftige könnten von einem höheren Mindestlohn profitieren und 27 Millionen Beschäftigte von tariflichen Löhnen.
Und Minister Heil, den ich bislang übrigens sehr geschätzt habe, macht – wenn es hoch kommt – Politik für 210.000 Menschen, wahrscheinlich aber eher für 23.400. Das ist doch irre!
Auch im Hinblick auf Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge, da hätten wir Mehreinnahmen bei höheren Löhnen.
Aber leider ist es nicht nur Populismus und Schaufensterpolitik, denn letztlich geht es um etwas anderes. Es geht um einen Angriff auf die Beschäftigten im Niedriglohnsektor, die diszipliniert werden sollen. Die gezwungen werden sollen, in ihren miesen Jobs zu bleiben oder eben genau solche anzunehmen. Die Zumutbarkeitsregeln sind so niedrig, dass auch – das ist aktuell der Stand im Gesetzesentwurf – eine nicht existenzsichernde Arbeit angenommen werden muss, tut man das nicht, ist die Stütze weg. Das ist doch verrückt!
Das ist Hartz IV in Reinform, das schwächt erneut die Verhandlungsmacht der Arbeiterschaft und ist ein Angriff auf den Sozialstaat und aus gewerkschaftlicher Sicht einfach abzulehnen!
Aber mich ärgert noch mehr an der Debatte:
Mich ärgert, dass sie den Blickwinkel in die völlig falsche Richtung lenkt. Wir haben einen ungeahnten Reichtum in diesem Land. Die Anzahl der Millionäre und Milliardäre ist weiter gestiegen. Das Geldvermögen der privaten Haushalte, also Cash und Aktien etc., beträgt 7,4 Billionen Euro.
Ich habe das ausgerechnet: Durchschnittlich hat damit jeder von uns knapp 100.000 Euro auf der hohen Kante. Wer hat denn das? Das Problem ist doch die Verteilung! Die fünf reichsten Familien in Deutschland haben mehr Vermögen als die ärmere Hälfte. 5 Familien! Das sind so Familien wie Schwarz, Quandt, Würth etc.
Auf der der anderen Seite haben 40% der Deutschen weder Vermögen noch Ersparnisse – ja da stimmt doch was nicht! In kaum einem anderen Land gibt es so geringe vermögensbezogene Steuern wie in Deutschland, weder in Frankreich noch England, auch nicht in den USA.
Keine Vermögenssteuer, keine richtige Erbschaftssteuer – nein, es geht nicht um das kleine Häusle von der Oma, es geht um Millionen- und Milliardenerbschaften. Und das ist doch das leistungslose Einkommen in diesem Land!
Eine Vermögenssteuer würde übrigens vorrangig den Ländern und den Kommunen zu Gute kommen. Die Kommunen sind klamm. Und ich finde unser Oberbürgermeister, macht ja eine gute Politik, da gibt es Kommunen, wo es deutlich schlechter läuft, aber auch Kaufbeuren hat leere Kassen, ja der Schuldenberg ist größer geworden. Also auch in Kaufbeuren muss teilweise der Mangel verwaltet werden. Und unserem Oberbürgermeister klingelt es jetzt wahrscheinlich wirklich in den Ohren. Am besten sagt ihm niemand, dass ich ihn gelobt habe, denn ich hab mir sagen lassen, dass es bei Teilen seiner Fraktion nicht so gut ankommt, wenn er von einer Linken gelobt wird…J
Im ganzen Land verlottert die Infrastruktur: Die Bahn – nur noch jeder 3. Zug kommt pünktlich an – und ich hab das Gefühl, ich bin immer jede Dritte, wenn ich nach Berlin fahre, marode Schulen und Kindergärten und ein Gesundheitssystem, das zunehmend die Versorgung nicht mehr sicherstellen kann. Ja, in unserem Land ist die Situation so, dass die Versorgung teilweise nicht mehr sicher gestellt werden kann und aufgrund der Krankenhausreform des Gesundheitsministers immer mehr Kliniken drohen, insolvent zu gehen. Diese Krankenhausreform wäre noch ein ganz eigener Vortrag…
Das sind doch die Probleme in unserem Land, darum muss sich die Bundesregierung kümmern und nicht um Scheinpolitik für ein paar tausend Leute!
Durch die Komplettverweigerung der Besteuerung von Vermögen und gleichzeitig der Weigerung, die Schuldenbremse zu reformieren, hat sich die Bundesregierung an den Rand der Handlungsunfähigkeit gebracht.
Wir haben Haushaltslöcher, auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Wir haben mehr Ausgaben, insbesondere für Rüstung, mittlerweile sind das 85,5 Milliarden Euro, das ist im Bundeshaushalt jeder 5. Euro und die Schuldenbremse greift wieder. Und dann wird immer so getan, als ob Schulden immer schlecht wären – das ist doch Blödsinn! Jedes Unternehmen, das investiert, nimmt Kredite auf! Und wir müssen investieren, in die ökologische Transformation, sonst haben wir irgendwann nicht nur mit dem Klima, sondern auch mit der Wirtschaft ein Problem. Und wir müssen investieren in die Infrastruktur. Was haben denn unsere Kinder davon, wenn wir zwar keine Schulden haben, aber die Infrastruktur und der Sozialstaat ramponiert sind?! Wir haben in den Schulen einen Investitionsstau von fast 48 Milliarden Euro! Es gäbe z.B. die Möglichkeit einer sogenannten „goldenen Regel“, dass zumindest in Höhe der Ausgaben für Investitionen eine Neuverschuldung getätigt werden darf. Aber auch wenn die SPD jetzt die Schuldenbremse reformieren möchte: Ganz ehrlich, mit diesem Kanzler und dieser FDP fehlt mir echt der Glaube!
Die Konsequenz ist eben, dass bei den Bürgern und am Sozialstaat gespart wird – und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, erleben wir jetzt schon und das dürfen wir uns nicht gefallen lassen!
Da haben wir die Rolle rückwärts beim Bürgergeld – damit man Menschen in jede Arbeit, sei sie noch so schlecht bezahlt, drücken kann. Da haben wir die Bundesagentur, wo Mittel für Weiterbildung und Integration für Langzeitarbeitslose gestrichen und die Rücklagen geplündert werden. Da haben wir die Rentenversicherung, die weniger Zuschüsse bekommt, obwohl wir alle wissen, dass wir ab 2026 in ein Problem laufen und es sind ja jetzt schon wieder Stimmen zu hören, dass das Renteneintrittsalter erhöht werden muss… So ein Quatsch – man schaue sich die Erwerbstätigenversicherung in Österreich an, wir brauchen einfach mehr Menschen, die in diese Versicherung, in eine Erwerbstätigen-Versicherung einbezahlen.
Am Rande bemerkt haben wir auch die Situation, dass im Bundeshaushalt die Mittel für das Technische Hilfswerk um 27 Millionen und die Mittel für den Bevölkerungsschutz um 43 Millionen gekürzt werden – trotz der Hochwasserkatastrophen.
Und so könnte ich weiter machen…
Diese ganze Situation, die zahlt nur auf das Konto einer Partei ein und die sitzt ganz rechts außen.
Sie wird angeheizt vom Oppositionsführer Friedrich Merz, der immer noch weiter die rechten Parolen übernimmt. Profitieren tut nur die AfD.
Aktuell wieder groß in den Medien, wegen einem Treffen in Potsdam. Da ging es um einen Masterplan für Remigration, das ist ziemlich euphemistisch ausgedrückt, in Wahrheit heißt das, dass jeder, der kein „deutsches Blut“ hat, raus aus Deutschland soll.
Ja, das ist ein Skandal! Und ja, ich bin der Meinung, dass wenn eine Partei in Teilen gesichert rechtsextrem ist, dass man über ein Verbot diskutieren muss.
Aber neu ist das nicht, Kolleginnen und Kollegen – die AfD-Politiker im Bundestag sprechen andauernd von Remigration und halten menschenverachtende und rassistische Reden.
Sie lehnen aber übrigens alle Anträge, die aus sozialpolitischer Sicht notwendig sind, ab. Die AfD ist keine Alternative, sie ist eine Katastrophe für Deutschland!
Dieses Jahr sind in drei Ost-Bundesländern Landtagswahlen – überall liegt die AfD vorne. Bei einer der letzten Bundestagswahlumfragen lag die Union bei 29% und die AfD bei 24% – und dank der tollen Wahlrechtsreform der Ampel ist es sogar theoretisch denkbar, dass die CSU nicht in den Bundestag kommt – und dann?!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben schon jetzt eine massive Krise der Demokratie!
Nicht mal mehr jeder zweite ist zufrieden mit der Demokratie und die Werte sind umso niedriger, je schlechter die soziale Lage ist. Wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben hier, meiner festen Überzeugung nach, eine entscheidende Rolle. Uns eint – über Parteigrenzen hinweg – ein gemeinsames Verständnis von Solidarität – dem Wissen, dass wir gemeinsam in der Lage sind, Dinge zu verändern.
Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: In manchen Diskussionen bin ich meinen gewerkschaftlichen Kollegen bei SPD, Grünen, ja auch bei der Union – die haben einen starken Arbeitnehmerflügel, den CDA, näher dran, als bei so manchem Genossen.Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unser politisches Mandat wieder stärker nutzen. Wir müssen uns in politische Diskussionen einmischen und wir müssen für soziale Gerechtigkeit, für Solidarität und gegen den aufkeimenden Faschismus aufstehen und auch auf die Straße gehen! Und dabei muss es egal sein, welche Parteien die Bundesregierung stellen. Mich erinnert das alles an die Agenda-Politik unter Kanzler Schröder und dazu dürfen wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nicht schweigen. Und ich will kein Parteien-Bashing betreiben, darum geht es nicht. Mein eigener Laden hat genügend Probleme und ja, wären wir stärker gewesen, bei der letzten Bundestagswahl, wäre eine andere Regierungskoalition zumindest möglich gewesen. Ich will nicht im Glashaus sitzen und mit Steinen werfen, aber es ist unsere Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen.
Man kann zu den Bauern-Protesten stehen wie man will, aber eines haben sie uns gezeigt: Protest wirkt! Wir dürfen in dieser Situation nicht nur zuschauen. Unsere Väter und Mütter haben für einen Sozialstaat, für gute Arbeits- und Lebensbedingungen gekämpft und das sind wir jetzt auch unseren Kindern schuldig!
In diesem Sinne: Auf ein kämpferisches Jahr 2024! Glück auf!