Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau, 20.11.2019

Wer arbeitslos wird, darf nicht länger in die Armut getrieben werden. Es gibt gute Konzepte für eine Absicherung, die wirksam hilft. Der Gastbeitrag.

Der Transformationsprozess in der Automobilindustrie und den Zuliefererbetrieben sowie die schwächere Konjunktur verstärken sich aktuell gegenseitig und führen zu massivem Stellenabbau. Viele Unternehmen haben ihre Rationalisierungsmaßnahmen bereits konkretisiert: Bei Continental sind es 5000 Stellen, bei Bosch 2000, und VW will in den kommenden Jahren bis zu 7000 Stellen streichen.

Für die Stammbelegschaften der großen Konzerne mit starken Gewerkschaften und Tarifbindung wird es Sozialpläne geben – bei den Zuliefererbetrieben ist noch nicht einmal das sicher. Die Beschäftigten sind so oder so verunsichert. Denn sind sie länger als zwölf Monate arbeitslos, droht ihnen in der Regel Hartz IV.

Hartz 4 verunsichert Beschäftigte

Das Gesetz, das den Namen des ehemaligen VW-Vorstands Peter Hartz trägt, steht seit 15 Jahren für sozialen Abstieg, Armut, sanktionsbewehrte Disziplinierung und Entwertung erworbener Berufsqualifikationen. Im Klartext heißt das: Leben mit 424 Euro im Monat, strenge Anrechnung von Ersparnissen und der Druck, jede angebotene Arbeit annehmen zu müssen. Das wird von den Menschen zu Recht als ungerecht und als existenzielle Bedrohung empfunden.

Soziale Sicherheit im Fall von Arbeitslosigkeit ist kein staatliches Almosen, sondern ein durch die Sozialversicherung erworbener Anspruch. Wer jahrelang Beiträge eingezahlt hat, muss auch länger von der Schutzfunktion profitieren. Hartz IV hat mit dieser jahrzehntelang erfolgreichen Logik gebrochen und die Menschen schutzlos dem Niedriglohnsektor ausgeliefert.

Hohe Armutsquote durch Hartz 4

Die Folgen sind hohe Armutsquoten quer durch alle Bevölkerungsgruppen. Kleine Korrekturen reichen angesichts der massiven Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt längst nicht mehr aus. Notwendig sind eine konsequente Neuausrichtung der sozialen Sicherungssysteme und die Stärkung des Sozialstaates.

Die Linke hat ein schlüssiges Konzept vorgelegt, das einfach und gerecht ist. Wer jahrelang gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, muss auch länger vom Schutz profitieren.

Wir wollen das Arbeitslosengeld auf 68 Prozent erhöhen und dafür sorgen, dass Beschäftigte schon nach vier Monaten Beitragszahlungen Ansprüche erwerben. Das stärkt vor allem die Rechte jüngerer, oft befristet Beschäftigter.

Nach insgesamt 24 Monaten Beitragszahlung erwerben Beschäftigte Anspruch dem Konzept zufolge auf zwölf Monate Arbeitslosengeld I – jedes weitere Beschäftigungsjahr erhöht den Anspruch um einen weiteren Monat.

An die Dauer des Arbeitslosengeld-I-Bezugs schließt sich ein ebenfalls beitragsfinanziertes Arbeitslosengeld Plus (ALG Plus) an. Die Höhe des ALG Plus liegt bei 58 Prozent des vorher erzielten Nettolohns, und die Bezugsdauer entspricht der Dauer des vorherigen Arbeitslosengeld-Bezugs. Wer zum Beispiel 15 Jahre beschäftigt war, erhält also je 25 Monate ALG I und 25 Monate ALG Plus.

Auf diese Weise werden Beschäftigte länger vor einem Abstieg in Hartz IV bewahrt. Vor allem langjährig Beschäftigte in körperlich belastenden Jobs profitieren davon. Nach insgesamt 30 Beitragsjahren wird der Bezug von ALG Plus entfristet.

Hartz 4: Unternehmen müssen sich an Finanzierung der Arbeitslosigkeit beteiligen

Klar ist, dass Unternehmen von der Arbeitskraft der Beschäftigten profitieren – also müssen sie sich auch an der Finanzierung des Beschäftigtenrisikos Arbeitslosigkeit beteiligen. Eine Selbstverständlichkeit, die wir über die konsequente Beitragsfinanzierung beider Leistungen in der Arbeitslosenversicherung sicherstellen. Denn Arbeitslosigkeit ist weder selbstverschuldet noch ein individuelles Risiko, sondern es gehört zum Erwerbsleben dazu. Deshalb muss es anständig abgesichert werden. Ein Anspruch aus Beitragszahlungen schützt außerdem die Ersparnisse der Beschäftigten, da keine Vermögensprüfung erfolgt.

Menschen wollen arbeiten, sich aber nicht unter Wert verkaufen. Wir stärken die Verhandlungsposition von Beschäftigten, damit die Vermittlung in Arbeit auf Augenhöhe erfolgt.

Hartz 4: Leiharbeit und prekäre Beschäftigung soll unterbunden werden

Die Arbeitsangebote müssen der Qualifikation entsprechen und gut entlohnt sein. Vermittlung in prekäre Beschäftigungsformen wie Leiharbeit wollen wir unterbinden. Beschäftigte sollen außerdem kündigen dürfen, ohne mit einem Ausfall des Arbeitslosengeldes rechnen zu müssen – die sogenannten Sperrzeiten wollen wir abschaffen.

Eine Stärkung der Arbeitslosenversicherung nimmt so den Druck von Beschäftigten wie Arbeitslosen, Lohneinbußen und schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Eine sanktionsfreie Mindestsicherung sichert überdies weiterhin allen Bedürftigen ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Steuermitteln als untere Auffanglinie.

Susanne Ferschl ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag und Leiterin des Arbeitskreises „Arbeit, Soziales und Gesundheit“.

Hartz IV: Jobverlust darf nicht zum Absturz in die Armut führen | Meinung (dbtg.de)