Neuer Sammelband verhandelt den Ukraine-Krieg und die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft aus gewerkschaftlicher Perspektive.
Rezension von Susanne Ferschl
Der Krieg ist im Arbeitsleben angekommen: Rüstungsschmieden laufen auf Hochtouren, Kriegsgerät muss an die Front transportiert werden und auch die öffentliche Meinung wird auf Krieg getrimmt: Für Journalisten wird der Meinungskorridor enger, und der Ton gegenüber all jenen, die vor einer militärischen Eskalation warnen, wird schriller. »Friedenspolitische Positionen werden als ›Putinversteherei‹ diffamiert (…) und in den Medien wird zuweilen über die ›friedensverwöhnten Generationen‹ fabuliert, ganz so, als sei das Aufwachsen im Frieden, das Leben, Lieben, Lachen, das Erwachsenwerden und das Altwerden ohne Bombenangst und Zerstörung ein unverdientes Privileg«, formuliert es Ulrike Eifler, die Herausgeberin des Sammelbandes »Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg«, treffend in der Einleitung.
Die Kriege, ihre Auswirkungen auf das Leben der Menschen sowie die Auseinandersetzung um den Weg zum Frieden machen nicht an den Fabriktoren halt. Es ist daher für Gewerkschaften essenziell, die Diskussionen, um Krieg und Frieden aufzugreifen und zu vertiefen. Es gelte, nicht Äquidistanz und Verunsicherung in der Friedensfrage zur Schau zu stellen, sondern die westliche Doppelmoral zu entlarven und sich »für die Sicherung des Friedens, für eine Ausweitung der Entspannungspolitik und für das Primat der Diplomatie« einzusetzen, so Eifler.
Der Band versammelt die klugen Beiträge der gleichnamigen friedenspolitischen Gewerkschaftskonferenz, die im Juni 2023 im Gewerkschaftshaus Hanau mit mehreren hundert Teilnehmenden stattfand, und versteht sich als »ein Orientierungsangebot von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter«, um »die Dynamik des Ukraine-Krieges zu verstehen«. .
Andreas Zumach, ehemaliger UN-Korrespondent der »Taz« in Genf, ordnet den Ukraine-Krieg eingangs historisch und geopolitisch ein. Weder Bagatellisierung des russischen Angriffs noch Dämonisierung Russlands sind dafür notwendig. Der Konflikt wird sachlich, nüchtern sowie nachvollziehbar eingeordnet, damit jenseits einseitiger Schuldzuweisungen erklärt und das eigentlich Notwendige herausgestellt: Es braucht Wege aus der militärischen Logik durch Diplomatie und Verhandlungen.
Denn, so stellen die Gewerkschafter*innen Ulrike Eifler, Thomas Händel und Robert Weißenbrunner in ihrem Beitrag klar: Lohnabhängige profitieren nie vom Krieg – es sind nicht »die Söhne der Oligarchen, die auf den Schlachtfeldern den Blutzoll zahlen, es sind die Söhne der arbeitenden und armen Bevölkerung« – in Russland und in der Ukraine.
Auch jenseits der Schützengräben sind die Lohnabhängigen mit den Auswirkungen des Krieges konfrontiert, wie der Ökonom Kai Eicker-Wolf in seinem Beitrag zu den Folgen der Zeitenwende für die Verteilungsungleichheit zeigt. Dauerhaft hohe Ausgaben für Bundeswehr und Aufrüstung, wie es das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfordert, seien abzulehnen, denn bei »strukturell unterfinanzierten öffentlichen Haushalten in Verbindung mit der Schuldenbremse« führe das zu Sparmaßnahmen im sozialen Bereich und verschärft soziale Ungleichheit.
Anne Rieger, ehemalige Bevollmächtigte der IG Metall, konkretisiert, dass schon heute bundesweit in Kitas mehr als 380 000 Betreuungsplätze sowie 173 000 Fachkräfte fehlten, der Investitionsstau in den Krankenhäusern 30 Milliarden Euro beträgt und allein für den notwendigen Ausbau des Nahverkehrs 14 Milliarden Euro jährlich notwendig seien. Gleiches gilt für den Bildungssektor und die Schulen. »Es gibt also einen großen Bedarf, finanzielle Ressourcen in den Ausbau und Erhalt der öffentlichen Infrastruktur zu stecken, anstatt sie in Aufrüstung und Krieg zu versenken.«
Die politisch-internationalistischen Beiträge von Janine Wissler, Özlem Alev Demirel, Valentina Orazzini und Jeremy Corbyn beschließen den Band und machen Mut für Frieden und linke Alternativen zu kämpfen, auch wenn sie gerade keine Mehrheiten finden, statt sich dem Mainstream unterzuordnen. Denn Kriegerische Zeiten erfordern Gegenmacht durch »mutige und von den sozialen und politischen Interessen der werktätigen Menschen geleitete Gewerkschaften, Bündnisse und Parteien – und zwar europaweit«, stellt die Linke-Abgeordnete im Europäischen Parlament Özlem Alev Demirel heraus.
Notwendig dafür sei, wie es der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler mit Blick auf die Gewerkschaften treffend formuliert, die »staatstragende Rhetorik« abzulegen. Denn, so Däubler weiter: »Man muss nicht immer von ›unserer freiheitlichen Ordnung‹ und ›unserer demokratischen Gesellschaft‹ sprechen. Man könnte auch mal sagen: Diese Ordnung, die wir uns so nicht ausgesucht haben, kennt enorme Ungerechtigkeiten beim Einkommen, beim Vermögen, bei den realen Einflussmöglichkeiten.«
Der Band vereint Analysen und Argumente, um den notwendigen Kampf für den Frieden und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verbinden und in die Offensive zu kommen – damit kommt er genau zur richtigen Zeit.
Ulrike Eifler (Hg.): »Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg«, Westfälisches Dampfboot, 20 Euro; die Autorin dieser Rezension, Susanne Ferschl, ist stellvertretende Vorsitzende der Gruppe Die Linke im Bundestag.
Rezension zuerst erschienen im Neuen Deutschland.