Redebeitrag von Susanne Ferschl, gehalten auf der Aktionskonferenz „Aktiv gegen Armut“ am 30. Oktober 2022 in München.

Liebe Genoss*innen, liebe Freund*innen,

die Preise für Lebensmittel, Strom und Gas gehen durch die Decke. Butter kostet beispielsweise im Vergleich zum Vorjahr 48% mehr,
Erdgas 46% – und so könnte ich weiter machen. Die Inflation ist so hoch wie seit 50 Jahren nicht mehr.
Viele Menschen wissen nicht mehr, wie sie die Miete und ihre Rechnungen bezahlen oder überhaupt über den Winter kommen sollen.
Strom- und Gaskunden rufen verzweifelt bei ihren Energieversorgern an.
Ich zitiere aus dem Handelsblatt: „Sie schreien, sie weinen, einige drohen sogar mit Selbstmord, weil sie jetzt schon nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen.“
Für einen Vier-Personen-Haushalt könnten die Nebenkosten bis zu 5.000 Euro teurer werden!
Das Versprechen, das Christian Lindner gegeben hat, ist verlogen:
„Niemand wird im Winter hungern und frieren müssen“ – es gibt jetzt schon Menschen, die sich ihr Essen nicht mehr leisten können!
2 Millionen Menschen gehen zur Tafel – seit Beginn der Preissteigerungen ist der Andrang drastisch gestiegen – 30% der Tafeln mussten sogar einen Aufnahmestopp verhängen. Diejenigen, die noch „Glück“ haben, dass sie kommen dürfen, stehen oft stundenlang in der Schlange. Das alles ist eine Schande in diesem reichen Land und auch in diesem reichen Bundesland!

Die Bundesregierung hat es einfach verpennt, rechtzeitig die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Halb Europa hat über eine Gaspreisbremse diskutiert und diese auch eingeführt, während bei uns an der Gasumlage rumgedoktert wurde.
Dann wurde im Eilverfahren mit Hilfe einer Expertenkommission jetzt ein Vorschlag für eine Gaspreisbremse entwickelt. Mit dem Ergebnis: Sozial ungerecht und zu spät. Es ist doch Unfug, reiche Menschen mit Steuergeldern zu unterstützen, damit diese ihren Swimmingpool beheizen können. Und dann soll der Gaspreisdeckel erst im März kommen – da ist die Heizsaison schon vorbei, was für ein schlechter Witz.
Und für die Ärmsten in dieser Gesellschaft hat die Bundesregierung am wenigsten übrig: Der Regelsatz soll im Januar gerade einmal um 50 Euro erhöht werden. Dafür feiert sich die Bundesregierung und behauptet, Hartz IV überwunden zu haben. 50 Euro sind gerade mal der Inflationsausgleich! Zu dieser Erhöhung wäre die Bundesregierung so oder so gesetzlich verpflichtet gewesen! Und die betroffenen Menschen bekommen dieses Jahr, im Jahr der Rekord-Inflation: nichts. Besonders betroffen sind Rentnerinnen und Rentner, Alleinerziehende, Arbeitslose aber – und das wird häufig gar nicht gesehen – auch Menschen mit kleinem Einkommen. Die größte Gruppe unter den Armutsbetroffenen sind mit fast 27% die Erwerbstätigen.

Die Ursache ist, dass Deutschland den größten Niedriglohnsektor in West-Europa hat. Die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro ab Oktober wird mit Sicherheit die Situation lindern, allerdings wird die Erhöhung von der Inflation bereits wieder aufgefressen. Aber für wirklich angemessene Löhne müsste die Tarifbindung in Deutschland, die sich im freien Fall befindet, deutlich erhöht werden.
Dafür wäre eine Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung notwendig, genauso wie insbesondere in Bayern ein Tariftreuegesetz. Bayern ist das einzige Bundesland, das ein solches nicht hat.

Deshalb kämpfen wir auch für die Abschaffung der prekären Beschäftigungsverhältnisse – sie machen die Menschen klein, brechen ihren Widerstand, schwächen somit die gewerkschaftliche Organisationsmacht und sind häufig von Armutslöhnen betroffen.

In den Jahren 2000 bis 2018 hat das unterste Einkommens-Dezil Verluste gehabt, d.h. die Menschen hatten danach weniger Geld in der Tasche. Die Betroffenen konnten keine Rücklagen aufbauen.

Aktuell sind Menschen mit geringem, aber auch mittlerem Einkommen, überproportional von Ausgaben für Wohnen und Lebensmittel betroffen.
Aus diesen beiden Gründen sind die untersten Einkommensgruppen 2-4 Mal so stark von der Inflation betroffen, als die obersten Einkommensgruppen.

Auf der anderen Seite machen gerade etliche Konzerne den Reibach ihres Lebens: Laut aktuellen Berechnungen belaufen sich die krisenbedingten Übergewinne beim Öl auf etwa 38 Milliarden Euro, beim Gas 25 Milliarden Euro und 50 Milliarden bei Strom aus Atomkraft und erneuerbaren Energien. Das ist doch irre. Von den Rüstungskonzernen noch gar nicht zu reden.

Der Club der Superreichen wird immer größer: Die Zahl der Millionäre in Deutschland ist alleine im Jahr 2021 um 100.000 gewachsen.
Die Großvermögen sind so stark gestiegen wie noch nie und das reichste eine Prozent besitzt mehr als 90% der deutschen Bevölkerung zusammen.
Um es zu verdeutlichen: Die 100 reichsten Familien konnten ihr Vermögen um 116 Milliarden Euro steigern – auf der anderen Seite sind fast 14 Millionen Menschen von Armut betroffen – da stimmt etwas nicht in diesem Land!

Das ist keine Entwicklung der letzten 1-2 Jahre, das ist eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte – Corona und die jetzige Krisensituation wirken nur wie Brandbeschleuniger.
Die Ursache ist eine permanente Umverteilung von unten nach oben. Ihr kennt den Spruch von Bertold Brecht und er hat Recht: „Armer Mann und reicher Mann standen da und sahen sich an und der Arme sagte bleich: Wäre ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“
Das ist genau der Punkt, Genoss*innen, es ist auf allen Ebenen permanent umverteilt worden: Auf der Ebene der Löhne und Gehälter:
Das Bruttoinlandsprodukt ist in all den Jahren immer deutlich stärker gestiegen als die Löhne und Gehälter – die Unternehmen und ihre Aktionäre haben davon profitiert. Die Steuern wurden immer weiter zu Gunsten der Reichen und Vermögenden verschoben. Der größte Einnahmenposten im Bundeshaushalt mit über 33% ist die Mehrwertsteuer und gerade jetzt bei steigenden Preisen sind diese Einnahmen noch gewachsen. Der zweitgrößte Posten mit 33% ist die Lohn- und Einkommenssteuer – d.h. „ganz normale“ Menschen bezahlen letztlich zu einem Großteil die Ausgaben der Bundesrepublik. Wohingegen Aktionäre und Unternehmer nur noch zu 6.7% zur Finanzierung des Bundeshaushaltes beitragen.
Und für Vermögende ist Deutschland ein Steuerparadies – der Anteil der vermögensbezogenen Steuern beträgt in Deutschland nicht mal 3% – bei den USA sind es über 15% – also 5 mal so viel!
Und selbst bei den Sozialversicherungen wird umverteilt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Beitragsbemessungsgrenzen. Es kann doch nicht sein, dass z.B. Abgeordnete wie ich, nur auf einen Teil ihres Einkommens Krankenversicherungsbeiträge bezahlen, wohingegen die Kassiererin im Supermarkt ihr komplettes Einkommen verbeitragen muss.

Genoss*innen, dieser ganz Zustand ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ist durch politische Entscheidungen zustande gekommen, er ist also politisch gewollt!

Die gute Nachricht ist: Man kann es durch politische Mehrheitsverhältnisse auch wieder ändern.

Es geht nicht darum, dass wir Menschen mit geringem Einkommen helfen, aus ethischen und/oder moralischen Gründen, es geht darum, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Niemand hat das Recht, seinen Reichtum auf Kosten der Mehrheit immer weiter zu steigern!
Das ist meiner fersten Überzeugung nach die Kernaufgabe der Linken und auch der Gewerkschaften.
Denn ansonsten erodiert nicht nur der soziale Friede im Land, sondern auch die Demokratie – die AfD ist im Osten mittlerweile stärkste Partei.

Wir als Linke würden gut daran tun, diese Kritik an der immensen Ungleichheit der Vermögensverhältnisse nach vorne zu stellen –das ist auch eine Frage, bei der wir keine Differenzen haben.
Deswegen sollten wir uns gerade jetzt zusammenraufen, die Ärmel hochkrempeln und für soziale Gerechtigkeit und eine andere Gesellschaft kämpfen – und das ist auch unsere Aufgabe! Vielen Dank!