Die anstehende Reform bewegt die Gemüter – in der Gesellschaft und natürlich auch im Parlament. Hintergrund ist, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Februar 2020 das erst 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der Hilfe zur Selbsttötung gekippt und klargestellt hat, dass Menschen ein Recht haben, selbstbestimmt ihrem Leben ein Ende zu setzen, auch mit Unterstützung Dritter. Danach ist die „geschäftsmäßige“ Suizidhilfe, verstanden als wiederholte Hilfe zur Selbsttötung  durch Organisationen, Vereine und Einzelpersonen, grundsätzlich wieder straffrei möglich – befindet sich aber in einem rechtlichen Graubereich, der für alle Beteiligten erhebliche Risiken birgt. Das Parlament ist nun aufgerufen, auf Basis dieser Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts, die Sterbehilfe neu zu regeln und das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Schutz des Lebens aufzulösen.

Dazu liegen bislang insgesamt drei Gesetzentwürfe vor, die von jeweils verschiedenen fraktions-übergreifenden Arbeitsgruppen verfasst wurden. Da sind zum einen der Gesetzentwurf „zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“ einer Abgeordnetengruppe rund um Lars Castellucci (SPD), der auch zukünftig die Regelung zur Suizidhilfe grundsätzlich im Strafgesetzbuch regeln sowie die Strafbarkeit beibehalten will, sowie zwei Gesetzentwürfe, die sich für ein neues Sterbe- bzw. Suizidhilfegesetz aussprechen. Eine Gruppe um die GRÜNEN-Abgeordneten Renate Künast und Katja Keul legten einen Gesetzentwurf „Zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ vor. Eine dritte Gruppe um die Abgeordneten Kathrin Helling-Plahr (FDP)/ Petra Sitte (LINKE)/ Helge Lindh (SPD)/ Till Steffen (GRÜNE) und Otto Fricke (FDP) hat den Gesetzentwurf „zur Regelung der Suizidhilfe“ erarbeitet und vorgelegt.

Der Bundestag hat nach einer ersten Orientierungsdebatte im Mai 2022 nun kürzlich, am 24. Juni 2022, alle drei Gesetzentwürfe in Erster Lesung beraten und sie an die federführenden Bundestags-ausschüsse zur weiteren parlamentarischen Beratung überwiesen (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw25-de-suizidhilfe-897826).

Eine Regelung im Strafgesetzbuch, wie es die Gruppe um Lars Castellucci  vorschlägt, halte ich für nicht machbar, denn sie widerspricht der eindeutigen Aussage des Bundesverfassungsgerichts, wonach es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt. Ein Recht zu formulieren und dann prinzipiell unter Strafandrohung zu stellen, passt einfach nicht zusammen.

Zielführender ist es, die Sterbehilfe in einem eigenen Bundesgesetz zu regeln, wie es die beiden anderen Abgeordnetengruppen vorsehen. Die vorliegenden Anträge unterscheiden sich im Wesentlichen darin, auf welchem Weg Betroffene Hilfe bei einem Suizidwunsch erhalten sollen. Die Gruppe Künast/Keul sieht hier zwei Wege vor. In einer so genannten medizinischen Notlage soll der Zugang zur Suizidhilfe für Menschen über Ärzte erfolgen, während bei anderen Betroffenen eine Behörde nach Antragstellung und Gewissensprüfung über den Zugang zu einem Medikament zur Selbsttötung entscheiden soll.

Ich habe den Gesetzesentwurf der Gruppe um meine Abgeordnetenkollegin Petra Sitte mitgezeichnet. Dieser Entwurf folgt der klaren Vorgabe des BVerfG, dass der Staat kein Recht hat, die möglichen Gründe oder Ursachen für einen Sterbewunsch zu bewerten, sondern allen Menschen – unabhängig von ihren Motiven oder Lebensumständen – einen selbstbestimmten Tod ermöglichen sollte. Der Zugang zu Beratung sowie einheitlichen Verschreibungsmöglichkeiten muss daher allen Menschen gleichermaßen offenstehen. Notwendig dafür sind kostenfreie und niedrigschwellige Beratungsangebote sowie medizinische Hilfe statt Bevormundung und Strafandrohung. Vor letzterem müssen nicht zuletzt auch helfende Ärztinnen und Ärzte sowie Angehörige geschützt werden.

Der Gesetzentwurf der Gruppe um Kathrin Henning-Plahr und Petra Sitte zielt darauf ab, die Voraussetzungen zu schaffen für eine selbstbestimmte und geschützte Entscheidung, das eigene Leben zu beenden. Durch eine umfassende und ergebnisoffene Beratung zum Suizid entschlossener Personen sowohl über die geltende Rechtslage, als auch mögliche Alternativen sowie Hilfsangebote einschließlich medizinischer Einzelheiten, soll eine unabhängige und eigenverantwortete Entscheidungsfindung ohne staatliche Bevormundung gewährleistet werden. Zu diesem Zweck fordern die Abgeordneten eine bundesweit flächendeckende Einrichtung von kompetenten und unabhängigen Beratungsstellen mit staatlicher Anerkennung. Die Erfahrung in anderen Ländern zeigt, dass unvoreingenommene und ergebnisoffene Beratungen in ihrer großen Mehrheit dazu führen, dass Suizidwillige ihren Sterbewunsch aufgeben und sich noch einmal aufs Leben einlassen. Gegner einer liberalen Regelung der Sterbehilfe befürchten dennoch, dass sich vor allem ältere oder schwer kranke Menschen stärker unter Druck gesetzt fühlen könnten, ihrem Leben ein Ende zu setzen, um zum Beispiel ihrem Umfeld nicht zur Last zu fallen. Dagegen sprechen zum einen die Befunde aus Ländern, die bereits liberale Regelungen haben, zum anderen, dass Menschen mit Sterbewunsch durch den Gesetzentwurf meiner Abgeordnetenkollegin Petra Sitte u.a. erst ein Recht auf Beratung, Information und Hilfe bekommen – die Voraussetzung für eine wirklich selbstbestimmte Entscheidung. Gerade eine unabhängige, ergebnisoffene Beratung kann doch dabei helfen, möglichen Druck zu verringern, Gedanken zu sortieren und alternative Hilfsmöglichkeiten aufzuzeigen. Fakt ist: Durch die  gesetzlichen Änderungen kommen assistierte Suizide nicht plötzlich in die Welt – Suizide, allein oder mit Hilfe durchgeführt, gibt es bereits. Der Unterschied ist, ob die Gesellschaft wegsieht und die Betroffenen in einer rechtlichen Grauzone alleine lässt – oder hinsieht, hilft, berät sowie unterstützt und willens ist, den Betroffenen mithilfe geeigneter Medikamente im Ernstfall ein menschenwürdiges Lebensende zu ermöglichen.

In der Orientierungsdebatte am 18. Mai 2022 im Deutschen Bundestag bestand in ausdrücklicher Anerkennung der Autonomie von Betroffenen, „dem eigenen Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen“, fraktionsübergreifend Einigkeit darüber, dass gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um eine Bagatellisierung oder Normalisierung von Selbsttötung in der Gesellschaft zu verhindern. Ich unterstütze dieses Anliegen selbstverständlich ausdrücklich. Daher spreche ich mich dafür aus, einen Schritt früher anzusetzen und vor allem die Suizidprävention hierzulande deutlich zu stärken. Das heißt, sich die Frage zu stellen, warum Menschen ihren Lebensmut und ihre Kraft verlieren. Für mich ist es wichtig, den Staat in die Verantwortung dafür zu nehmen, Menschen sowohl ein würdevolles Lebensende zu ermöglichen, als auch vor allem die Rahmenbedingungen für ein würdevolles Leben zu schaffen. Das Recht auf ein würdevolles Leben durchzusetzen, heißt für mich als LINKE-Abgeordnete auch, gegen die zunehmende soziale Ungleichheit sowie Spaltung der Gesellschaft anzukämpfen und für alle Menschen ein gutes Leben ohne Existenzsorgen zu gewährleisten. Suizidprävention heißt in vielen Fällen Schutz vor Armut, Vereinsamung und existentiellen, auch seelischen Nöten.

Ganz praktisch heißt das, Beratungsstellen und Hilfsangebote zur Suizidprävention ebenso auszu-bauen, wie mit vernünftiger, an menschlichen und ökologischen Bedürfnissen orientierter, Arbeits-markt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik die Lebensbedingungen der breiten Mehrheit – den vielzitierten 99 Prozent – endlich wirksam und nachhaltig zu verbessern.