Dez 15, 2021

Auswertung Schriftliche Frage Nr. 253 (S.47 ff.) im November 2021

Hintergrund:
Covid-19 kann entweder als Berufskrankheit (BK-Nummer 3101: Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war) oder für alle Beschäftigten als Arbeitsunfall anerkannt werden. Im letzteren Fall muss nachgewiesen werden, von wem hat man sich angesteckt („Indexperson“). Lässt sich keine konkrete Indexperson feststellen, kann im Einzelfall auch ein nachweislich massives Infektionsgeschehen (ein sogenanntes Ausbruchsgeschehen) im Betrieb ausreichen. Im Einzelfall wird geprüft, ob im maßgeblichen Infektionszeitraum Kontakt zu anderen Indexpersonen außerhalb der versicherten Tätigkeit bestand und ob dies einer Anerkennung als Arbeitsunfall entgegensteht.


Seit Beginn der Pandemie bis zum 31.Oktober 2021 wurden bei der DGUV insgesamt 202.945 Meldungen von COVID-19-Erkrankungen als Berufskrankheit (169.089) oder Arbeitsunfall (33.856) erfasst. Bis zum 31. Oktober 2021 wurden 121.027 Versicherungsfälle (110.623 als Berufskrankheit, 10.404 als Arbeitsunfall) anerkannt. Die Anerkennungsquote an den entschiedenen Fällen bei Berufskrankheiten beträgt knapp 75 % und an allen Fällen 65 %. Bei den Arbeitsunfällen wurden nur 31 % aller Fälle positiv beschieden, wobei die Zahl der entschiedenen Fälle nicht aufgeführt ist.
Insgesamt wurden die meisten Fälle nachvollziehbarerweise der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW; 121.090), wo etwa freigemeinnützige und private Krankenhäuser sowie ambulante Pflegedienste versichert sind, sowie den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand (UVTöH, 59.950), die etwa für städtische Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Sozialstationen sowie Erzieher*innen und Lehrerkräfte zuständig ist, gemeldet. Hier sind auch die höchsten Anerkennungsquoten sowohl bei Berufskrankheiten als auch bei Arbeitsunfällen zu verzeichnen (BGW mit 72,8% bzw. 58 % und UVTöH mit 83,0% bzw. 46 %). Warum bzgl. der Anerkennungsquote von Arbeitsunfällen die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) mit 39 % Platz 3 einnimmt erschließt sich weniger. Platz 3 bei der Anerkennungsquote der gemeldeten Berufskrankheiten nimmt die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) mit 64,7 % ein. Auch das ist bemerkenswert, denn Voraussetzung für die Anerkennung einer Coronaerkrankung als Berufskrankheit ist, dass „der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“ (BK-Nummer 3101). Zwar ist die VBG neben vielen anderen Bereichen auch etwa für Unternehmen der Straßenbahnen, U-Bahnen und Eisenbahnen sowie für Zeitarbeitsunternehmen und Bildungseinrichtungen zuständig – überall dort besteht aufgrund der kontaktnahen Tätigkeiten mutmaßlich ein erhöhtes Ansteckungsrisiko. Doch der Ärztlicher Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ verneint dies bislang. Wünschenswert wäre, wenn die VBG sich über die Beschränkung auf bestimmte Berufsgruppen hinweggesetzt hat.
Ein Blick auf die einschlägigen Branchen und deren zuständige Berufsgenossenschaft lässt befürchten, dass viele der dort Beschäftigten ihre Rechte nicht kennen und die Arbeitgeber ihre Pflicht zur Meldung von Berufskrankheiten bzw. Arbeitsunfällen bewusst vernachlässigen. Denn bei der etwa für die Branchen Personenbeförderung, Luftfahrt sowie Post-Logistik zuständigen Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr) gab es aber nur 651 Meldungen und 2 Anerkennungen als Berufskrankheit (3,1 %) sowie 42 Anerkennungen als Arbeitsunfall (8 %) – trotz mutmaßlich erhöhten Risikos aufgrund der kontaktnahen Tätigkeiten. Und auch bei der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW), die u.a. für den Einzelhandel zuständig ist, gab es nur 2500 Meldungen (17 als Berufskrankheit, 2.483 als Arbeitsunfall) und eine Anerkennungsquote von 13,3 % bzw. 12 %. Das gleiche Bild ergibt sich bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) mit 1.557 Meldungen (768 als Berufskrankheit, 789 als Arbeitsunfall) und eine Anerkennungsquote von 13,2 % bzw. 5 %. Und insbesondere der Blick auf die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) irritiert: Einige Ausbrüche unter Erntehelfern und desaströse Gesundheitsschutzbedingungen wurden publik, doch es gab hier die wenigsten Meldungen. Drei eingegangene Meldungen von Covid-19-Erkrankungen als Berufskrankheit, 337 als Arbeitsunfälle gemeldete COVID-19-Erkrankungen. Bei den Arbeitsunfällen sind 65% der Meldungen noch offen, von den übrigen 117 wurden nur 40% bewilligt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass erstens die oft migrantischen Beschäftigten nicht über ihre Rechte aufgeklärt werden und es daher kaum Meldungen gibt und zweitens, dass deren Ansprüche nicht besonders ernst genommen werden (langsame Bearbeitungsdauer, hohe Ablehnungsquote). Auch bei der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN), die auch für die Fleischwirtschaft mit ihren zahlreichen Coronaausbrüchen zuständig ist, ist die Anerkennungsquote bei Arbeitsunfällen (5.948 Meldungen) mit 19 % unterdurchschnittlich. Die Anerkennungsquote bei Berufskrankheiten (73 Meldungen) liegt bei dürftigen 5,1 %.