Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die pandemische Lage besteht weiterhin; das belegen die aktuellen Zahlen. Deswegen sind auch weitere Maßnahmen notwendig; das ist unstrittig. Aber das, was wir hier seit einem Jahr erleben, ist nichts anderes als Chaos und Planlosigkeit. Es fehlt nach wie vor an Transparenz, an demokratischer Beteiligung des Parlaments und an einer klaren Strategie.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist Unsinn!)

Gestern tagte wieder die Ministerpräsidentenkonferenz samt Kanzlerin, und mir kommt es langsam so vor wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“: stundenlanges Spektakel im Kanzleramt drinnen und stundenlanges Warten draußen auf die Ergebnisse. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber: Die Debatten gehören raus aus dem Kanzleramt und rein hier ins Parlament!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wo sind Sie eigentlich, wenn wir über Corona debattieren?)

Frau Bundeskanzlerin, Sie halten es seit einem Jahr nicht für notwendig, zumindest vor dieser Runde hier eine öffentliche Regierungserklärung abzugeben, nicht mal im Nachgang. Das ist doch an Ignoranz kaum zu überbieten!

(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wo waren Sie in den letzten drei Sitzungswochen?)

Öffentlichkeit würde für Transparenz sorgen und so manchen wilden Theorien vorbeugen. Umso entsetzter bin ich, dass Union und SPD gestern im Gesundheitsausschuss mit den Stimmen der AfD einen Unterausschuss beschlossen haben, der nichtöffentlich hinter verschlossenen Türen beraten soll.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wie jeder Ausschuss!)

Das schlägt doch dem Fass den Boden aus!

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Union und liebe SPD, ich weiß nicht, wie Sie Ihre Rolle verstehen; aber unsere Aufgabe als Parlamentarier ist doch, für Transparenz zu sorgen und wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Bundesregierung zu überlassen. Und die Fragen, ob man seinem Beruf nachgehen kann, ob es Ausgangssperren gibt, ob Schulen und Kitas geschlossen sind, sind doch wohl wesentliche Entscheidungen. Und im Übrigen auch die Frage andersherum: Wann wird denn wieder geöffnet? Das einzig Wesentliche, was der Bundestag in diesen Fragen beschlossen hat,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Gesetzesgrundlage!)

war vor circa einem Jahr eine umfassende Verordnungsermächtigung der Bundesregierung und auch der Landesregierungen.

Was fällt Ihnen nach einem Jahr an Verbesserungen ein? Der Bundestag soll nun die epidemische Lage im Dreimonatsrhythmus beschließen. Tut er es nicht, gelten auch alle Verordnungen, die seit Anfang 2020 in Kraft getreten sind, nicht mehr, also auch Krankenhausfinanzierung, Arbeitsschutz usw. Das ist doch lediglich eine Scheinbeteiligung des Parlaments;

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Regieren per Verordnung bleibt weiter möglich. Das ist mit uns nicht zu machen, und deshalb lehnen wir das ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Was bezüglich der Akzeptanz der Bevölkerung ein genauso großes Problem ist wie die fehlende Transparenz, ist die fehlende Strategie. Im Vorfeld und auch im Nachgang dieser Ministerpräsidentenkonferenz wird – so würde man es zumindest in Bayern sagen – regelmäßig eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Jeder und jede hat andere Ideen und andere Vorschläge. Der eine erzählt, dass der Osterurlaub nicht möglich ist, der Nächste erzählt was von bedeutenden Schritten der Öffnung, die es demnächst geben wird. Die Inzidenzwerte, die gestern diskutiert wurden, die für die Öffnungen maßgeblich sind, schwankten im Stundentakt zwischen 35, 50 und 100. Es ist nicht mehr nachvollziehbar.

Die bisherigen Öffnungsschritte muten zumindest seltsam an. Während aktuell noch ganze Schulklassen in Homeschooling sind, haben Friseure seit 1. März wieder geöffnet. Ich habe nicht grundsätzlich etwas dagegen. Aber warum ausgerechnet Friseure,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie läuft das eigentlich in Thüringen?)

und warum ausgerechnet zum 1. März? Und warum sind eigentlich bayerische Baumärkte weniger infektiös als andere? Ich sage Ihnen: Das ist alles nicht logisch. Das ist Willkür und keine Strategie.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind uns einig: Alle Freiheitseinschränkungen müssen so schnell wie möglich aufgehoben werden. Aber für Öffnungsszenarien sind Kontaktnachverfolgung, ein breiter Zugang zu Impfstoffen und Schnelltests nötig. Und bei all diesen Punkten hat die Bundesregierung bislang versagt.

(Stephan Brandner [AfD]: Was hat der Ramelow denn gestern dazu gesagt? Bei Ramelow gestern ging alles!)

Die Corona-Warn-App hat gefloppt, und die Gesundheitsämter sind über einen viel zu langen Zeitraum runtergespart worden, sodass die Kontaktverfolgung erschwert wurde. Ausreichender Impfstoff steht nach wie vor nicht zur Verfügung, auch weil sich die Bundesregierung standhaft weigert, die Lizenzen freizugeben.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer schreibt Ihnen so was eigentlich auf? Unglaublich!)

Und auf die angekündigten Schnelltests und Selbsttests warten wir noch, während unsere österreichischen Nachbarn damit schon lange arbeiten.

Ja, natürlich ist die Lage dynamisch. Aber ein Jahr nach der Pandemie können die Menschen in diesem Land doch erwarten, dass Sie Ordnung in dieses Chaos bringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und dazu gehören ein im Parlament – und ich betone: im Parlament – beschlossener Stufenplan, der regelt, welche Einschränkungen und welche Bedingungen gelten, und eine hier beschlossene Impf- und Teststrategie. Das alles fehlt in Ihrem Gesetzentwurf. Nach zwölf Monaten hätte ich wirklich mehr erwartet.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erwarte von dieser Bundesregierung auch, dass sie die Weichen für die Zukunft anders stellt. Wir brauchen Investitionen ins Bildungssystem. Das, was in dieser Pandemie mit Kindern und Jugendlichen passiert ist, darf nie wieder passieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Und der Gesundheits- und Pflegebereich muss endlich der Marktlogik entzogen werden. Es ist doch völlig irre, dass im letzten Jahr 20 Krankenhäuser geschlossen worden sind.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Absurd, ja!)

Abschließend bitte ich Sie, unserem Entschließungsantrag für eine Lohnersatzleistung für die pflegenden Angehörigen zuzustimmen; denn es sind Menschen, die sehr häufig vergessen werden, und sie brauchen unbedingt ein soziales Sicherungsprogramm.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)