Gastkommentar von Susanne Ferschl und Sabine Zimmermann in der Frankfurter Rundschau

Der deutsche Arbeitsmarkt ist krisenbedingt unter Druck. Millionen Menschen sind in Kurzarbeit, Hunderttausende haben den Arbeitsplatz verloren. Im Frühjahr 2020 hat die Regierung auf dem Höhepunkt der ersten Pandemiewelle als eine von vielen Maßnahmen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängert. Für alle, deren Anspruch 2020 endete, wurde die Bezugsdauer um drei Monate verlängert. Das war für die Betroffenen eine Brücke über die Krisenzeit.

Als sich im Herbst abzeichnete, dass die Krise andauert, verlängerte die Bundesregierung die ebenfalls im Frühjahr 2020 beschlossenen Sonderregelungen bei der Kurzarbeit bis Ende 2021. Das verlängerte Arbeitslosengeld ließ die Bundesregierung aber ohne Begründung zum 31. Dezember auslaufen. Immer mehr Menschen fallen seitdem aus dem Arbeitslosengeldbezug heraus und müssen Hartz IV beantragen – mehrere Hunderttausend Arbeitslose sind 2021 betroffen.

Dabei gilt, was die Regierung im Frühjahr feststellte: „Die außergewöhnliche Krisensituation schränkt auch für Arbeitslose in gravierender Weise die Möglichkeiten und Chancen ein, eine neue Beschäftigung aufzunehmen.“ Die wirtschaftliche Lage ist laut Ifo-Beschäftigungsbarometer wieder ernster. Erhebliche Arbeitsmarktrisiken sind noch unberücksichtigt, etwa die Auswirkungen der neuen Virusmutante.

Auf Anfrage der Linksfraktion erklärte die Bundesregierung (PDF): „Von einer Verlängerung der Sonderregelung wurde mit Blick auf die finanziellen Belastbarkeitsgrenzen für das Leistungssystem der Arbeitsförderung und den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit abgesehen.“

Dass die Regierung diesen Zustand durch politische Fehlentscheidungen verantwortet, verschweigt sie. Zweimal hat die schwarz-rote Koalition den Arbeitslosenversicherungsbeitrag abgesenkt, zuletzt direkt vor der Pandemie. Dabei wäre das Geld in starken Sozialleistungen gerade jetzt besser angelegt, denn es fließt als Konsum in den Wirtschaftskreislauf zurück und stärkt die Binnennachfrage.

Dass die Konjunktur gestützt werden muss, weiß die Bundesregierung. Nur will sie ihre Prioritäten beim Kurzarbeitergeld setzen und so vorrangig Arbeitsplätze erhalten. Warum sie sich dann nicht dazu durchringen kann, etwa die Erstattung von Sozialabgaben beim Kurzarbeitergeld an eine Beschäftigungsgarantie zu knüpfen, bleibt ihr Geheimnis. Fakt ist, dass der Gegensatz zwischen Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld konstruiert ist. Beides ist nötig und finanzierbar. Arbeitslose brauchen eine soziale Brücke über die Zeit der Pandemie. Beschäftigte in Kurzarbeit brauchen, zumal in Niedriglohnbranchen, die besonders vom Lockdown betroffen sind, ein existenzsicherndes Mindest-Kurzarbeitergeld von 1200 Euro.

Es ist eine Frage des politischen Willens. Die Arbeitslosenversicherung wird Bundeszuschüsse benötigen. Dafür hat der Bund neue Schulden aufgenommen und die Schuldenbremse ausgesetzt. Neuverschuldung ist für ein so reiches Land wie Deutschland kein Problem und angesichts des riesigen Investitionsbedarfs sogar notwendig.

Längst reicht die Kritik an der Schuldenbremse über die politische Linke hinaus. Wider alle ökonomische Vernunft will die Regierung schnell zum Heiligen Gral neoliberaler Haushaltspolitik zurückzukehren, der schwarzen Null. In der Weigerung, Arbeitslose zu unterstützen, wirft die Schuldenbremse ihre Schatten voraus. Wenn nicht gegengesteuert wird, wird es diejenigen treffen, die in den letzten 20 Jahren die ersten Opfer des Sozialabbaus waren: Erwerbslose.

Ob in Beschäftigung, in Kurzarbeit oder arbeitslos – alle Lohnabhängigen brauchen sozialen Schutz. Wer heute noch erwerbstätig oder in Kurzarbeit ist, kann morgen arbeitslos sein. Es braucht längere Bezugszeiten beim Arbeitslosengeld. Bislang ist der Anspruch meist auf zwölf Monate begrenzt, unabhängig von der Einzahlungsdauer.

Uns erreichen in diesen Tagen viele Zuschriften von Menschen, die den Arbeitsplatz verloren haben oder zu verlieren drohen. Sie alle verbindet ein Anliegen: Sie fordern, dass die dreimonatige Verlängerung des Arbeitslosengeldes auch 2021 fortgeführt wird. Diese Menschen haben Angst um ihren Lebensstandard, um ihre Existenz, Angst vor den Drangsalierungen des Hartz-IV-Systems. Die schwarz-rote Koalition täte gut daran, diese Sorgen ernst zu nehmen.

Frankfurter Rundschau, 19. Februar 2021