Von Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende und Leiterin des Arbeitskreises „Arbeit, Soziales und Gesundheit“ der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

2019 startete mit einer groß von der SPD angestoßenen Debatte über den Sozialstaat der Zukunft und der Überwindung von Hartz IV. Das stimmte uns als LINKE hoffnungsfroh, denn partei- und verbandsübergreifend wurde endlich breit darüber diskutiert, wie Hartz IV überwunden, die Agenda 2010 abgewickelt und der Sozialstaat wieder gestärkt werden können. Misst man die Regierungsarbeit der Großen Koalition ein Jahr später an dieser Ankündigung, muss man allerdings konstatieren, dass bisher leider nur wenig bis nichts geschehen ist. Ob das an der eigenen Courage, am Koalitionspartner CDU oder an beidem liegt, ist irrelevant. Fakt ist, kleine und für beide Parteien gesichtswahrende Korrekturen reichen nicht mehr aus – große Würfe sind notwendig.

Von gesichtswahrenden Lösungen und dem kleinesten gemeinsamen Nenner

Der zähe Streit um die Grundrente hat den Berliner Politikbetrieb von der Ankündigung bis zum jüngst verkündeten Kompromiss ganze neun Monate lang in Atem gehalten. Einmal mehr hat sich hier gezeigt, dass es der Regierung vor allem um parteipolitische Profilierung statt um eine Verbesserung der Lebensrealität von Millionen Menschen geht. Denn um des lieben (Koalitions-)Friedens willen, wurde die Hürde für die Inanspruchnahme der sogenannten Grundrente so hoch gelegt, dass nur noch eine Minderheit profitiert. Respektloser konnte man mit der sogenannten Respekt-Rente nicht umgehen. Hinzu kommt, dass diese minimale Verbesserung mit einer weiteren Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung erkauft wurde. Das ist ein verheerendes Signal und schmälert die Rücklagen der Versicherung. Eine  notwendige Verbesserung der Leistungen für Arbeitslose wird so in eine ungewisse Zukunft verschoben. Wir als LINKE sagen: Eine Abkehr von der unsozialen Agenda 2010-Politik sieht anders aus – sie muss darauf abzielen, die Arbeitslosenversicherung sowie die Sozialversicherungssysteme insgesamt zu stärken. In Anbetracht einer sich verändernden Arbeitswelt, die oft mit Rationalisierungsmaßnahmen und Entlassungen einhergeht, müssen doch erst recht die Schutzsysteme für Beschäftigte ausgebaut werden.

DIE LINKE stellt sich der mit der Agenda 2010 eingeleiteten Entwicklung des Sozialstaates zum steuerfinanzierten Fürsorge- und Suppenküchenstaat entgegen. Unsere sozialen Sicherungssysteme – die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung – sind soziale Errungenschaften, die es zu auszubauen, und nicht zu plündern gilt. Deshalb haben wir 2019 unsere parlamentarische Arbeit hier noch einmal deutlich verstärkt. Wir wollen die Hartz IV-Regelsätze in einem ersten Schritt auf mindestens 582 Euro anheben, wie es im Übrigen auch Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften seit Langem fordern, und die Arbeitslosenversicherung stärken, indem wir die Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld wieder an die Zeiten der Beitragszahlung anknüpfen. Es ist schlicht ungerecht, dass langjährig Beschäftigte sich bei Arbeitslosigkeit schon nach einem Jahr im Hartz IV Bezug wiederfinden. In Anlehnung an die damalige Arbeitslosenhilfe, die im Zuge der Hartz IV-Reform abgeschafft wurde, fordern wir die Einführung einer neuen Versicherungsleistung – das Arbeitslosengeld Plus

Gute Arbeit bleibt das Maß aller Dinge

Ein großes Problem 2019 war die Komplettverweigerung der Regierung, die Verwerfungen am Arbeitsmarkt zu korrigieren. Auch hier keine Spur von einer ernstgemeinten Abkehr vom Hartz-IV-System. Die Zahl der Beschäftigten in Leiharbeit, Mini-Teilzeit oder befristeter Arbeit ist unvermindert hoch und noch immer arbeitet jede/r Fünfte zu einem Niedriglohn. Genau hier liegt aber die Ursache für die grassierende Altersarmut und sehr oft auch für den allerorten beklagten Fachkräftemangel.  Das zeigt sich anschaulich im Bereich der Altenpflege: Hier arbeitet jede/r dritte Pflegehelfer in Vollzeit zu einem Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle von 2.203 Euro brutto. Die überwiegende Mehrheit der Pflegenden schafft den Job ohnehin nur in Teilzeit.

Bundesminister Heil hat deshalb das Pflegelöhneverbesserungsgesetz auf den Weg gebracht. Es soll einen Tarifvertrag für die Branche und alle Einrichtungen bindend machen. Private Pflegeanbieter speien Gift und Galle – wir als LINKE finden es gut. Denn eine flächendeckende Tarifbindung ist – auch über die Pflegebranche hinaus – dringend notwendig. Was dem Gesetz aber fehlt, ist ein Finanzierungskonzept. Ohne realistische Gegenfinanzierung wird die notwendige Lohnerhöhung aber die Eigenanteile in die Pflege erhöhen und Pflegebedürftige in die Sozialhilfe treiben. Für uns als LINKE ist nicht hinnehmbar, dass auf diese Weise Pflegebedürftige gegen Pflegekräfte ausgespielt werden. Auch aus dem Kabinett in Gestalt von Gesundheitsminister Spahn, wird das Gesetz torpediert – hier erweist sich Spahn erneut als verlässlicher Unterstützer der Privatwirtschaft.

Im November hat das Bundesverfassungsgericht das Sanktionsregime bei Hartz IV empfindlich beschränkt. Das ist ein großer Erfolg. Hartz IV bedeutet Armut und Demütigung per Gesetz. Es ist auch unserer entschiedenen Oppositionsarbeit zuzuschreiben, dass es im Bundestag um den durch die Agenda 2010 vollzogenen Abbau des Sozialstaates niemals ruhig geworden ist. Auch 2020 braucht es Druck im Parlament, damit die Entscheidung auch zeitnah und ohne Schlupflöcher umgesetzt wird.

Auch 2020 bleibt DIE LINKE die einzige soziale Opposition

Wir haben einiges erreicht, aber es bleiben auch weiterhin einige dicke Bretter zu bohren. Der Mindestlohn muss endlich erhöht und seine Einhaltung wirksam kontrolliert werden. Kommenden Sommer tagt dazu die Mindestlohnkommission und berät über die Höhe des Mindestlohns ab 2021. Damit Menschen von ihrer Hände Arbeit leben können sind dafür aktuell mindestens 12 Euro pro Stunde notwendig. Grüne und SPD schließen sich unserer Forderung seit diesem Jahr an. Wir werden sie an ihren Taten messen und 2020 einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen. Und auch bei der Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes zur Erfassung der Arbeitszeit schauen wir der Regierung im kommenden Jahr ganz genau auf die Finger und werden sie auch an ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erinnern, die Befristungen ohne Sachgrund einzuschränken.

Ein Thema hat derzeit in Öffentlichkeit und Bundestag Hochkonjunktur: Der Klimawandel und welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Der Klimawandel stellt unsere Gesellschaft und die Wirtschaft vor enorme Herausforderungen. Es sind Umbrüche zu erwarten bzw. schon eingetreten, die die Arbeit und Arbeitsplätze in vielen Branchen in großem Maßstab verändern werden. Aber statt sich mit wahren Klimasündern anzulegen, ist die bisher einzige beschlossene Maßnahme sozial ungerecht, denn sie trifft zunächst einmal alle Verbraucher – die CO2 Steuer. Dabei wären Eingriffe in die Märkte, bis in Unternehmensentscheidungen hinein, erforderlich. DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass der anstehende Wandel durch eine eingreifende Arbeits- und Sozialpolitik flankiert wird. Im Parlament werden wir die Bundesregierung dazu auffordern, Strategien zu entwickeln, die den sozialen wie ökologischen Belangen gerecht werden, und zwingend mit Initiativen für gute Arbeit, soziale Sicherheit und wirtschaftlicher Mitbestimmung einhergehen. Das ist das Mindeste, damit eine Transformation unserer Arbeitswelt Akzeptanz findet – bei Beschäftigten und ihren Gewerkschaften.

Links wirkt und das auch 2020. Als soziale Opposition im Bundestag setzen wir uns für Politik im Sinne aller Beschäftigten ein und machen weiter Druck auf die Regierung. Unsere Antwort auf  soziale, rassistische oder neoliberale Spaltung und Sozialstaatsabbau ist gemeinsames solidarisches Handeln für gute Arbeits- und Lebensbedingungen für Alle!