Es war ein kurzes Jahr im Berliner Regierungsbetrieb. Lange hatten SPD und CDU/ CSU mit der Neuauflage der “GroKo“ gehadert. Nach zwischenzeitlichen Flirts in Richtung Jamaica und diversen Mitgliederbefragungen war erst sechs Monate nach der Wahl, im Frühjahr 2018 die neue alte Regierung startklar. Angela Merkel trat ihre vierte Legislatur als Kanzlerin an und Olaf Scholz, Schäubles würdiger Nachfolger als Wächter der schwarzen Null, wurde Vizekanzler.

Ab dem Sommer ging die Regierung direkt in die Vollen: Nachdem sich über Jahre im Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsbereich wenig tat, legte die Regierung nun ein Gesetz nach dem anderen auf: Die Pflege sollte verbessert, Familien gefördert, die Teilzeitfalle entschärft, die Rente stabilisiert, Perspektiven für Langzeitarbeitslose geschaffen und Beschäftigte weitergebildet werden. Kurz und knapp: Es soll alles ein bisschen gerechter zugehen und die Menschen sollen fit für den digitalen Wandel werden.

Ehrenwerte Vorhaben, aber die Regierung bekam dann offensichtlich Angst vor ihrer eigenen Courage. Wohl deshalb wurde leider zu oft nach dem Motto „ein Schritt vor, zwei zurück“ verfahren.

Schaut man sich zum Beispiel das Rentenpaket an: Da wird zwar das Rentenniveau bis 2025 bei wenigstens 48 Prozent stabilisiert,  zugleich aber prekäre Teilzeitarbeit ausgeweitet und  subventioniert. Dabei ist doch bekannt: Nur gute Löhne und ein stabiles Rentenniveau von 53 Prozent können Altersarmut wirksam verhindern. Trotz besseren Wissens wurde das Gegenteil beschlossen: Der Sinkflug der Rente wurde auf zu niedrigem Niveau sowie nur kurzfristig gestoppt und zugleich Anreize für Teilzeitarbeit geschaffen, die insbesondere das Erwerbspotenzial von Frauen stilllegt.

Mehrheitlich Frauen sind aber schon heute teilzeitbeschäftigt – mit meist negativen Folgen für ihre soziale Absicherung und Rente. Das ist bekannt in den zuständigen Ministerien, und der Wille war da, dem entgegenzusteuern: Mit dem Brückenteilzeitgesetz sollte die Teilzeitfalle entschärft werden. Das Ergebnis ist aber kaum mehr als ein Placebo, denn das Recht auf befristete Teilzeit greift erst bei Unternehmen mit mehr als 45 Beschäftigten. De facto werden so 14,4 Millionen Beschäftigte von diesem Recht ausgeschlossen. Ganz zu schweigen von den 2,6 Millionen Menschen, die schon heute gern mehr arbeiten würden, aber von dem Gesetz gar nicht profitieren.

Ähnlich sieht es bei der Pflege aus: Die 13.000 zusätzlichen Stellen, die das Pflegepersonalstärkungsgesetz vorsieht, sind kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Regelungen weisen in die richtige Richtung, sie sind aber nicht ausreichend, um die prekäre Personalsituation im Gesundheitssystem nachhaltig zu verbessern.

Hinzu kommt: Während die wenigen progressiven Regelungen wie die Stabilisierung des Renten-niveaus sowie die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarktes für Langzeitarbeitslose zeitlich befristet wurden, wird prekäre Arbeit in Gestalt kurzfristiger Minijobs (die sogenannte „70-Tage-Regelung“) dauerhaft entfristet. Das ist de facto ein Geschenk an die Unternehmensverbände von Landwirtschaft und Gastgewerbe, deren Geschäftsmodell maßgeblich auf kurzfristiger Saisonarbeit basiert. Sie dürfen Beschäftigte nun dauerhaft drei Monate sozialversicherungsfrei arbeiten lassen, um ihre Saisonspitzen abzufedern.

Das ist das Problem der GroKo: Sie versucht ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen den Interessen von Beschäftigten, Rentnern und Erwerbslosen einerseits und Unternehmen andererseits. Überfällig ist aber nicht Ausgleich, sondern eine wirksame Korrektur der bereits bestehenden Ungleichheiten! Unternehmen und Vermögende müssen endlich politisch verpflichtet werden, sich durch Steuern wieder an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen (Antrag, PDF) und armutsfeste Löhne von mindestens 12 Euro zu zahlen.

Entschlossenen Arbeitskämpfen – unter anderem in den Krankenhäusern – ist zu verdanken, dass die Interessen von Beschäftigten wahrgenommen und aufgegriffen werden mussten. Dass im deutschen Kranken- und Pflegebereich täglich massiv die Würde des Menschen verletzt wird und die Armut in allen Altersgruppen wächst, war auch im Berliner Regierungsviertel nicht länger zu ignorieren. Kurz und knapp: Es ist kein Zufall, dass Pflege und Gesundheit zum Schwerpunkt der Regierungspolitik wurden und aktuell fieberhaft über Alternativen zu Hartz-IV debattiert wird.

Die Linke hat seit langem Vorschläge unterbreitet, wie im Bereich Gesundheit (Antrag, PDF)Arbeit (Antrag, PDF) und Soziales (Antrag, PDF) politisch gegengesteuert werden kann.

Einige unserer Vorschläge wurden aufgegriffen, aber mutlos umgesetzt. Ein Beispiel ist der Mindestlohn: Dass es ihn gibt, ist ein Erfolg – auch unser Erfolg. Aber klar ist: Er war bei der Einführung 2015 viel zu niedrig bemessen und ist es noch immer.

Trotzdem zeigt das ganz deutlich: Politik kann wirksam sein, sie kann regulieren und Verbesserungen der Lebensbedingungen erwirken. Notwendig ist aber der Wille dazu und eine klare Parteinahme für die Interessen der lohnabhängigen Menschen in Betrieben, im Jobcenter oder im Rentenalter.

In diesem Sinne freuen wir uns darüber, dass die SPD und die GRÜNEN unsere langjährige Forderung nach mindestens 12 Euro Mindestlohnaufgegriffen haben und werden uns auch im nächsten Jahr dafür einsetzen, dass das Thema Mindestlohn auf der parlamentarischen Tagesordnung bleibt.

Denn: Links wirkt, und das auch 2019. Wir setzen uns für Politik im Sinne der Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentnerinnen und Rentner ein und machen weiter Druck auf die Regierung. Eine Spaltung der Gesellschaft – sei es entlang der Stellung im Betrieb, der ethnischen Herkunft oder dem Lebensalter – lehnen wir entschieden ab. Unsere Antwort auf rassistische und neoliberale Spaltung ist gemeinsames solidarisches Handeln für gute Arbeits- und Lebensbedingungen für alle.